Das Gesicht der Anderen
war, der mir dieses Päckchen geschickt und allen Leute in Fairport von Eddie Jay Nealy erzählt hat.”
“Das wollen wir alle wissen. Es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis Dante und seine Kollegen von Dundee die Identität dieser Person herausgefunden haben.”
“Ich glaube, ich weiß schon, wer es ist.”
“Was? Wieso?”
“Mama, heute Morgen hat irgendeine komische Stimme meinen Namen gerufen. Hier, in meinem Zimmer. Erst dachte ich, ich hätte geträumt. Aber es war kein Traum. Die Stimme war die von einem Mann, glaube ich, obwohl sie verstellt war. Der Mann sagte … er rief meinen Namen und sagte: “Kleines Mädchen, wer ist dein Vater?” Davon bin ich aufgewacht. Aber es war niemand im Zimmer. Trotzdem habe ich es mir nicht eingebildet, denn als mir Eustacia kurz danach mein Frühstück brachte, fand ich in meiner Serviette einen kleinen Zettel versteckt, auf dem genau das stand, was der Mann gesagt hatte: “Kleines Mädchen, wer ist dein Vater?” Dieser Mann war heute Morgen im Haus, und er ist es bestimmt auch heute Abend.”
“Mein Gott! Was hast du mit dem Zettel gemacht?”, fragte Tessa.
“In tausend kleine Teile zerrissen.”
“Mein Schatz, das war nicht so schlau. Aber du glaubst, du weißt, wer er ist?”
“Ja. Tad Sizemore. Diesem Fiesling ist so etwas zuzutrauen.”
“Aber warum sollte Tad …”
“Keine Ahnung. Vielleicht weil wir beide ihn und seine Mutter nicht mögen. Olivia würde uns doch gern das Leben zur Hölle machen und gleichzeitig Großvater zeigen, wie liebevoll und voller Verständnis sie ist. Wahrscheinlich hat sie Tad sogar angestiftet. Immerhin sind die beiden ja zusammen hinter seinem Geld her.”
Tessa streichelte Leslie Annes Wange. “Ich glaube nicht, dass das als Motiv ausreicht. Und außerdem: Wie sollte Tad das mit meiner Vergangenheit erfahren haben?”
“Wie kann es überhaupt jemand herausgefunden haben? Irgendjemand muss es ihm verraten haben. Wahrscheinlich hat Großvater es irgendwann mal bei Olivia ausgeplaudert, als sie im Bett waren, und die hat es dann Tad weitererzählt.”
“Nein, Schätzchen. Dein Großvater hat ganz sicher nie jemandem etwas davon gesagt – nur deiner Tante Sharon.”
Leslie Anne gähnte. “Ich glaube, ich habe trotzdem recht mit meinem Verdacht. Wir sollten es Dante sagen.”
“Du bist müde und ich auch”, meinte Tessa. “Lass uns jetzt erst mal schlafen gehen. Morgen früh sprechen wir dann gleich mit Dante. Dann kannst du ihm deinen Verdacht mitteilen.”
“Aber Dante hat versprochen, dass er nach seiner Besprechung noch mal zu mir kommt. Ich will auf ihn warten.”
“Na gut, dann warten wir. Aber du kannst dich schon bettfertig machen und mir dabei noch mal genau von dieser Stimme und dem Zettel erzählen.”
Eine Viertelstunde vor Mitternacht drehte Dante seine Runde durch Leslie Plantation. Er schaute bei Dom und Vic vorbei und ging dann zu Leslie Annes Zimmer. Die Tür war geschlossen, und er überlegte kurz, ob er wirklich noch hineingehen sollte. Doch dann öffnete er die Tür und ging in Leslie Annes Schlafzimmer. Er blieb stehen, als er sie und ihre Mutter Arm in Arm schlafend auf dem Bett liegen sah. Er betrachtete Tessa. Sie trug einen pinkfarbenen Morgenmantel aus Seide über einem passenden Nachthemd. Ihr langes, welliges blondes Haar umrahmte ihren Hals und ihre Brust. Sie war wunderschön.
War sie vielleicht Amy?
Er wünschte sich nichts mehr auf der Welt, als dass es so war.
Es war schon Ironie des Schicksals. Kaum hatte er alle Hoffnung aufgegeben, dass Amy doch noch am Leben sein könnte, und sich erlaubt, eine andere Frau in sein Leben treten zu lassen, da gab es erneut Hoffnung auf ihr Überleben. Aber noch konnte – und wollte – Dante Tessa nichts von seiner Vermutung sagen. Er brauchte erst einen Beweis dafür, dass sie nicht die Tochter von G. W. und Anne Westbrook war. Und selbst wenn sich herausstellte, dass sie nicht ihre leibliche Tochter war, hieß das nicht automatisch, dass sie Amy Smith war.
Und was ist mit dem Muttermal?
Ja, richtig. Es war zwar kein wissenschaftlicher Beweis wie ein DNA-Test oder ein Fingerabdruck, aber es war doch mehr als außergewöhnlich, dass zwei sich schon so sehr ähnelnde Frauen ausgerechnet auch noch an derselben Stelle ein identisches Muttermal hatten.
Dante ging näher ans Bett heran und betrachtete Tessas Gesicht im sanften Schein der Nachttischlampe. Ihre Züge erinnerten ihn kaum an Amy – abgesehen von den Augen, die
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