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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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die vielfarbige Lichtkuppel der Stadt sie violett einfärbte.
    Wie hatte die Polizei die Wus gefunden?, grübelte der Geist.
    Er dachte lange darüber nach, kam jedoch zu keinem Ergebnis. Eventuell durch den toten Makler und durch Mah - die Ermittler waren womöglich nicht von einer Täterschaft der Italiener überzeugt, trotz der Botschaft, die er mit dem Blut des Tong-Führers an die Wand geschrieben hatte. Der zurückgelassene Uigure war tot, falls man den Fernsehnachrichten glauben durfte. Das bedeutete, er würde dem Leiter des Kulturzentrums eine hohe Entschädigung zahlen müssen.
    Wie hatten sie die Familie gefunden?
    Vielleicht war es Zauberei ...
    Nein, Zauberei hatte nicht das Geringste damit zu tun. Es war ein weiterer Beleg dafür, wie hartnäckig und talentiert sein Gegenspieler und dessen Mitarbeiter vorgingen. Diesmal wurde er von ganz anderen Leuten verfolgt als sonst. Besser als die Taiwanesen, besser als die Franzosen, besser als der durchschnittliche INS-Agent. Ohne diesen verfrühten Schuss auf der Canal Street wäre er inzwischen in Gewahrsam oder tot.
    Wer war dieser Lincoln Rhyme, von dem seine Behördenquelle ihm berichtet hatte?
    Nun ja, im Augenblick drohte ihm wohl kaum akute Gefahr. Ihren Fluchtwagen, den Lexus, hatten er und die Türken sorgfältig verschwinden lassen, sogar noch besser als den Honda, mit dem er vom Strand geflohen war. Danach hatten sie sich sofort getrennt. Bei den Wus war er zu keinem Zeitpunkt ohne Maske gewesen, niemand hatte sie von dort aus verfolgt, und Kashgari ließ sich durch nichts mit ihm oder dem Gemeindezentrum in Queens in Verbindung bringen.
    Morgen würde er die Changs aufspüren.
    Zwei junge Amerikanerinnen schlenderten an ihm vorbei, genossen die Aussicht und unterhielten sich angeregt, was der Geist als störend empfand, aber er blendete ihre Stimmen aus und konzentrierte sich auf ihre Körper.
    Soll ich enthaltsam bleiben?, überlegte er.
    Nein, entschied er. Und bevor er es sich noch anders überlegen konnte, nahm er sein Telefon aus der Tasche und rief Yindao an, um ein Treffen zu arrangieren. Sie schien erfreut, von ihm zu hören. Mit wem war sie gerade zusammen? Was tat und sagte sie in diesem Moment? Er würde heute Abend nicht viel Zeit für sie haben - der lange Tag steckte ihm in den Knochen, und er brauchte unbedingt Schlaf. Andererseits sehnte er sich danach, ihr nahe zu sein, ihren straffen Körper zu spüren und sie unter sich liegen zu sehen. Sie zu berühren würde ihm helfen, nach der Beinahe-Katastrophe in der Canal Street den Schock und die Wut zu vergessen.
    Er legte auf und ließ die verführerische Stimme der Frau noch lange in sich nachklingen. Sein Blick lag auf den fliehenden Wolken, den unruhigen Wellen.
    Wer enttäuscht ist, kann Erfüllung finden.
    Wer hungrig ist, kann gesättigt werden.
    Wer einen Rückschlag erlitten hat, kann den Sieg erringen.
    Um einundzwanzig Uhr dreißig stand Fred Dellray auf, streckte sich, sammelte die vier leeren Kaffeebecher ein und warf sie in den übervollen Papierkorb, der neben seinem Schreibtisch im FBI-Büro von Manhattan stand.
    Genug für heute.
    Er blätterte den Bericht über die Schießerei auf der Canal Street durch. Der Großteil der Arbeit war getan, doch er würde den Text morgen noch einmal ändern müssen. Dellray schrieb gern, und die Ergebnisse konnten sich sehen lassen (unter Pseudonym hatte er im Laufe der Jahre zu vielen verschiedenen Themen Artikel in historischen und philosophischen Fachzeitschriften veröffentlicht), aber dieses spezielle Opus bedurfte einer gründlichen Überarbeitung.
    Während er über den Tisch gebeugt dastand, die Seiten überflog und einzelne Änderungen vornahm, fragte er sich die ganze Zeit, weshalb er eigentlich an GHOSTKILL mitarbeitete.
    Frederick Dellray, der Abschlüsse in Kriminologie, Psychologie und Philosophie vorweisen konnte, scheute normalerweise vor derartigen Denksportaufgaben zurück. Was Rhyme auf dem Gebiet der Spurenauswertung darstellte, war Dellray im Bereich verdeckter Ermittlungen. Sein Spitzname lautete »Chamäleon«, und er konnte jeden beliebigen Charakter aus jedem denkbaren Umfeld verkörpern, natürlich vorausgesetzt, dass die Figur nicht im absoluten Gegensatz zu seinen einsneunzig Körpergröße und der rabenschwarzen Hautfarbe stand. Damit blieb immer noch eine erstaunliche Bandbreite an Rollen übrig - und Verbrecher waren vielleicht die einzigen Mitglieder dieser Gesellschaft, die einander vorwiegend nach ihrem

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