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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Geschick und nicht nach der Rassenzugehörigkeit beurteilten.
    Paradoxerweise hatten Dellrays Talent und sein lebenslanges Engagement für die Verbrechensbekämpfung sich letztlich als nachteilig erwiesen. Er war zu gut gewesen. Neben seinen verdeckten Einsätzen für das FBI hatte er regelmäßig für die Drogenfahndung, die Bundesbehörde für Alkohol, Tabak und Feuerwaffen sowie für die Polizei von New York, Los Angeles und Washington D.C. gearbeitet. Auch die bösen Jungs verfügten heutzutage über Computer, Mobiltelefone und E-Mails, und allmählich erwarb Dellray sich einen gewissen Ruf in der Unterwelt. Irgendwann wurde es zu gefährlich, ihn weiterhin an vorderster Front einzusetzen.
    Also beförderte man ihn und betraute ihn mit der Führung der verdeckten Ermittler und geheimen Informanten New Yorks.
    Damals hätte Dellray einen anderen Posten vorgezogen. Sein Partner, Special Agent Toby Dolittle, war bei dem Bombenanschlag auf das Bundesgebäude von Oklahoma City ums Leben gekommen, und Dellray hatte beharrlich versucht, sich zur Antiterroreinheit des FBI versetzen zu lassen. Irgendwann gestand er sich widerstrebend ein, dass der inbrünstige Wunsch, einen Verbrecher zu verhaften, nicht ausreichte, um ein guter Polizist zu werden - siehe zum Beispiel Alan Coe -, und gab sich damit zufrieden, auch zukünftig im Rahmen seiner besonderen Fähigkeiten tätig zu sein.
    Als man ihm den inzwischen mit GHOSTKILL betitelten Fall zuwies, hatte ihn dies anfangs verwirrt; Menschenschmuggel war ein völlig neues Gebiet für ihn. Vermutlich hatte man ihn wegen seines weitläufigen Informantennetzes in Manhattan, Queens und Brooklyn ausgewählt - dort lagen nämlich auch die chinesisch-amerikanischen Viertel dieser Stadt. Aber Dellray musste bald feststellen, dass traditionell geführte Spitzel und verdeckte Ermittler hier nur wenig bewirken konnten. Dank seiner Vorliebe für anspruchsvolle Unterhaltung hatte er den berühmten Film Chinatown gesehen, in dem das namengebende Viertel des alten Los Angeles außerhalb der westlichen Gesetze zu funktionieren schien. Wie er herausfand, beruhte dies nicht auf einer Erfindung des Drehbuchautors. Und es galt gleichermaßen für die Chinatowns von New York. Recht gesprochen wurde in den Tongs, sodass die Zahl der Notrufe und der Meldungen an das zuständige Polizeirevier in den chinesischen Gemeinden der Stadt weit unter den Vergleichswerten anderer Viertel lag. Niemand redete mit Außenseitern, und verdeckte Ermittler wurden fast sofort als solche erkannt.
    Bei GHOSTKILL fand er sich demnach als Chef einer komplizierten Operation wieder, in der es um die Aufklärung einer Art von Verbrechen ging, von der er wenig wusste. Doch nach dem heutigen Abend fühlte er sich schon besser. Morgen wollte er sich mit den Leitern des südlichen und östlichen Bezirks sowie einem stellvertretenden Direktor aus Washington treffen und sich den Status eines Supervising Special Agent geben lassen, wodurch ihm und dem GHOSTKILL-Team zahlreiche Hilfsmittel des FBI zur Verfügung stehen würden. Als SSA dürfte es ihm wesentlich leichter fallen, alles zu beschaffen, was sie bei diesem Fall brauchten: die vollständige Übertragung der Zuständigkeit an das FBI - und damit an ihn -, die sofortige Hinzuziehung des SPEC-TAC Teams und die Beschränkung der INS-Mitarbeiter auf eine reine Beraterposition, was de facto eine totale Kaltstellung bedeutete. Peabody und Coe würden stocksauer sein, aber das war ihm egal, und er hatte sich seine Argumente bereits zurechtgelegt. Ja, der INS war unverzichtbar, wenn es darum ging, Informationen über die Schlangenköpfe und ihre Schlepperorganisationen zu sammeln oder ihre Schiffe aufzuspüren. Mittlerweile jedoch hatte GHOSTKILL sich in die Großfahndung nach einem Mörder verwandelt, und das war eindeutig die Domäne des FBI.
    Er zweifelte nicht daran, dass seine Vorgesetzten einwilligen würden. Verdeckte Ermittler wie er, das wusste Dellray aus Erfahrung, gehörten zu den besten Überredungskünstlern - und Schnorrern - der ganzen Welt.
    Er nahm den Hörer des Bürotelefons ab und wählte die Nummer seiner Brooklyner Wohnung.
    »Hallo?«, meldete sich die Stimme einer Frau.
    »Ich bin in einer halben Stunde zu Hause«, sagte er sanft. Bei Serena verfiel er niemals in den derben Slang, den er sich während der Arbeit auf den Straßen New Yorks angewöhnt hatte und der zu einer Art Markenzeichen für ihn geworden war.
    »Bis gleich, Liebling.«
    Er legte auf.

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