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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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führte seine Ermittlungen ganz anders durch als Loaban. Seine Techniken glichen denen, die auch im heutigen China noch üblich waren. Vornehmlich ging es dabei um die Befragung der Zeugen und Verdächtigen, nicht um die Suche nach Spuren. Der Schlüssel zum Erfolg lag hier - wie so oft in der chinesischen Kultur - in Geduld, Geduld und nichts als Geduld begründet. Selbst der brillante und hartnäckige Richter Dee würde einen mutmaßlichen Täter mehrere Dutzend Male befragen, bis in dessen Alibi oder Aussage ein Widerspruch auftrat. Dann würde der Richter die Geschichte des Mannes zerpflücken, bis der Verdächtige ihm das lieferte, was bei polizeilichen Ermittlungen in China an oberster Stelle stand: nicht etwa der Schuldspruch, sondern ein Geständnis, gefolgt von dem ebenso wichtigen Reuebekenntnis. Jede Maßnahme, die zu einem Geständnis führte, galt als zulässig - auch die Folter (wenngleich zu Richter Dees Zeit noch die Regel galt, dass der Verhörende selbst gefoltert und hingerichtet wurde, falls eine gemarterte Verdachtsperson sich später als unschuldig erwies).
    Sonny Li war der Namensvetter des großen amerikanischen Gangsters Sonny Corleone, Sohn des Paten Vito Corleone. Er war leitender Ermittler der Ersten Präfektur des Büros für Öffentliche Sicherheit in Liu Guoyuan, Provinz Fujian, ein Weltreisender und Freund des loaban Lincoln Rhyme. Li würde die anderen Adressen des Geists aus dem Feng-Shui-Experten herausbekommen, was auch immer dazu nötig sein mochte.
    Er ging inmitten einer geschäftigen Menge die Straße entlang und kam an Fischläden vorbei, vor denen Körbe voller lebendiger Blaukrabben und Eistonnen mit Muscheln und Fischen standen - Letztere hatte man zum Teil schon aufgeschlitzt, aber ihre winzigen schwarzen Herzen schlugen immer noch.
    Li erreichte den Lucky Hope Shop, der nicht groß war, aber vor lauter Waren fast aus den Nähten platzte: Gläser voller verdrehter Ginsengwurzeln, Bündel aus getrocknetem Tintenfisch, Spielzeuge und Süßigkeiten für Kinder, Nudeln und Gewürze, staubige Reissäcke, Kästen mit Melonenkernen, Seesterne, Tee für Leber und Nieren, getrocknete Frösche, Austernsoße, Lotusblumen, Gelees und Gummibonbons, gefrorene süße Brötchen und abgepackte Innereien.
    Im Hinterzimmer saß ein Mann rauchend an einem Schreibtisch und las eine chinesische Tageszeitung. Das Büro war perfekt eingerichtet, so wie Sonny Li es erwartet hatte: konvexe Spiegel, um die schlechte Energie einzufangen, ein großer lichtdurchlässiger Jadedrache (besser als aus Holz oder Keramik) und - wichtig für erfolgreiche Geschäfte - ein kleines Aquarium vor der Nordwand. Darin schwammen schwarze Fische.
    »Sind Sie Zhou?«
    »Ja, der bin ich.«
    »Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen, Sir«, sagte Li. »Ich war neulich in der Wohnung eines Freundes, 805 Patrick Henry Street. Soweit ich weiß, haben Sie das Apartment gestaltet.«
    Zhous Augen verengten sich um einen Millimeter. Dann nickte er vorsichtig. »Ein Freund.«
    »Ganz recht, Sir. Ich muss ihn dringend sprechen, aber leider wohnt er dort nicht mehr. Ich habe gehofft, Sie könnten mir vielleicht weiterhelfen. Er heißt Kwan Ang.«
    Wieder bewegten sich kaum merklich die Augenbrauen des Mannes. »Es tut mir Leid, Sir. Ich kenne niemanden dieses Namens.«
    »Wie schade, Mr. Zhou. Denn falls Sie ihn gekannt und mir gesagt hätten, wo er sich eventuell aufhält, wäre eine Menge Geld für Sie drin gewesen. Es ist sehr wichtig, dass ich ihn finde.«
    »Ich kann Ihnen nicht helfen.«
    »Sie wissen, dass Kwan Ang ein Schlangenkopf und Mörder ist. Ich weiß, dass Sie es wissen. Ich sehe es in Ihrem Blick.« Sonny Li konnte in Gesichtern lesen wie Loaban in Spuren.
    »Nein, Sie irren sich.« Mr. Zhou fing an zu schwitzen. Die ersten Tropfen erschienen auf seiner Stirn.
    »An dem Geld, das er Ihnen gezahlt hat, klebt Blut«, fuhr Li fort. »Das Blut unschuldiger Frauen und Kinder. Stört Sie das nicht?«
    »Ich kann Ihnen nicht helfen.« Zhou starrte auf einen Papierstapel, der vor ihm lag. »Und jetzt muss ich weiterarbeiten.«
    Tock, tock ...
    Li klopfte ganz leise mit der Pistole auf den Tisch. Zhou starrte die Waffe an. »Demnach sind Sie einer seiner Komplizen. Vielleicht sogar sein Partner. Sie sind auch ein Schlangenkopf. Ja, so muss es wohl sein.«
    »Nein, nein. Ich weiß wirklich nicht, wen Sie meinen. Ich befasse mich lediglich mit Feng.«
    »Ach was, mir reicht's«, sagte Li verächtlich. »Ich werde den INS

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