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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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weg. Ich wollte an Land schwimmen, aber es ging nicht. Deswegen habe ich mich an diesen Felsen geklammert und gewartet.«
    Sachs musterte ihn nachdenklich. Er sah gut aus und war offenbar recht durchtrainiert. Vor kurzem hatte sie im Fernsehen eine Reportage über China verfolgt und dabei erfahren, dass viele Chinesen lebenslang Sport trieben - ganz im Gegensatz zu den meisten Amerikanern, die häufig nur vorübergehend und aus reiner Eitelkeit etwas für ihre Gesundheit taten.
    »Wie geht.«, setzte Sung an, wurde aber von einer heftigen Hustenattacke überwältigt. Der Sanitäter wartete, bis der Anfall sich legte, kniete dann nieder und setzte ihm die Maske wieder auf. »Ich bedauere, Officer, aber er braucht jetzt dringend Sauerstoff.«
    Doch Sung hob die Maske wieder an. »Wie geht es den anderen? Sind sie in Sicherheit?«
    Es war gemeinhin nicht üblich, derartige Informationen an Zeugen weiterzugeben, aber Amelia sah die aufrichtige Sorge in seinem Blick. »Es tut mir Leid. Zwei von ihnen sind tot.«
    Er schloss die Augen und umklammerte mit der rechten Hand ein steinernes Amulett, das an einem Lederriemen um seinen Hals hing.
    »Wie viele waren in dem Boot?«, fragte Sachs.
    »Insgesamt vierzehn«, antwortete er nach kurzem Überlegen.
    »Ist er entkommen? Der Geist?«
    »Die Fahndung nach ihm läuft auf Hochtouren.«
    Erneut verzog Sung erschrocken das Gesicht und schloss die Hand um den Talisman.
    Der Sanitäter reichte Amelia die durchnässte Brieftasche des Verwundeten. Der Großteil des Inhalts löste sich bereits auf und war überdies chinesisch beschriftet, abgesehen von einer einzigen noch leserlichen Karte, die den Mann als einen gewissen Dr. Sung Kai auswies.
    »Kai? Ist das Ihr Vorname?«
    Er nickte. »Aber meistens bevorzuge ich John.«
    »Sie haben einen Doktortitel?«
    »Ja.«
    »In Medizin?«
    Er nickte ein zweites Mal.
    Sachs betrachtete ein Foto, auf dem zwei kleine Kinder abgebildet waren, ein Junge und ein Mädchen. Der Gedanke, dass die beiden sich an Bord des Schiffs befunden hatten, war entsetzlich.
    »Und Ihre.« Der Satz blieb Amelia im Hals stecken.
    Sung begriff, was sie fragen wollte. »Meine Kinder? Die sind daheim in Fujian. Sie leben bei meinen Eltern.«
    Der Sanitäter blieb neben dem Patienten und war nicht erfreut darüber, dass dieser ständig die Maske anhob. Aber auch Sachs musste ihren Job erledigen. »Dr. Sung, haben Sie eine Ahnung, wohin der Geist sich wenden könnte? Hat er ein Haus oder eine Wohnung in unserem Land? Eine Firma? Irgendwelche Freunde?«
    »Ich weiß es nicht. Er hat kein Wort mit uns geredet und wollte nichts mit uns zu tun haben. Er hat uns wie Tiere behandelt.«
    »Was ist mit den anderen Immigranten? Wohin könnten sie geflohen sein?«
    Sung schüttelte den Kopf. »Es tut mir Leid. Wir sollten irgendwo in New York untergebracht werden, aber niemand hat uns je Genaueres verraten.« Sein Blick richtete sich auf das Wasser. »Zuerst dachten wir, die Küstenwache hätte mit einer Kanone auf uns geschossen. Dann wurde uns klar, dass der Geist das Schiff eigenhändig und mit allen an Bord versenken wollte.« Er klang erstaunt. »Er hat die Tür zu unserem Laderaum verbarrikadiert und eine Sprengladung gezündet.«
    Ein Mann in einem Anzug - ein INS-Beamter, wie Sachs noch aus Port Jefferson wusste - stieg aus dem schwarzen Wagen, der kurz zuvor neben der Ambulanz am Strand gehalten hatte. Er zog sich einen Anorak über und stapfte durch den Sand auf sie zu. Sachs gab ihm Sungs Brieftasche. Er warf einen Blick hinein und ging in die Hocke. »Dr. Sung, ich bin Mitarbeiter der amerikanischen Einwanderungsbehörde. Besitzen Sie einen gültigen Pass sowie ein Einreisevisum für unser Land?«
    Die Frage kam Sachs absurd und fast schon provozierend vor, aber sie vermutete, dass auch der INS-Mann gewisse Vorschriften befolgen musste.
    »Nein, Sir«, antwortete Sung.
    »Dann müssen wir Sie leider wegen illegaler Einreise in Gewahrsam nehmen.«
    »Ich möchte politisches Asyl beantragen.«
    »Das steht Ihnen frei«, sagte der Beamte mit gelangweiltem Unterton. »Trotzdem müssen Sie bis zu Ihrer Anhörung in Haft bleiben.«
    »Ich verstehe«, sagte Sung.
    »Wie ist sein Zustand?«, fragte der Beamte den Sanitäter.
    »Er wird wieder gesund, aber zuerst müssen wir ihn in ein Krankenhaus bringen. Wo soll er hin?«
    Sachs mischte sich ein. »Können wir ihn ins New Yorker Untersuchungsgefängnis verlegen? Seine Zeugenaussage ist von Bedeutung, und unsere

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