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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Queens war indessen genauso skrupellos wie jede Triade, mit der der Geist bislang zu tun gehabt hatte. Da es um die Ermordung von Han-Chinesen ging, waren die Uiguren eine perfekte Wahl; die Jahre der Unterdrückung und das großzügige Honorar des Geists, von dem ein Teil in der westchinesischen Provinz Xinjiang landen und in die Kassen der darbenden uigurischen Unabhängigkeitsbewegung fließen würde, garantierten eine saubere Erledigung des Auftrags.
    Zehn Minuten später trafen sie ein. Man reichte sich die Hände und stellte einander vor: Hajip, Yusuf und Kashgari. Sie waren dunkelhäutig, wortkarg und dünn - und von kleinerer Statur als der Geist, der selbst kaum als hoch gewachsen gelten konnte. Sie trugen schwarze Anzüge, goldene Armbänder und Halsketten sowie moderne Mobiltelefone, die wie Abzeichen an ihren Gürteln hingen.
    Die Muttersprache der Uiguren war dem Geist nicht vertraut, und die Männer wiederum beherrschten keinen der chinesischen Dialekte. Man einigte sich auf Englisch. Der Geist erklärte den Auftrag, und fragte, ob sie Bedenken hätten, unbewaffnete Zivilisten zu töten, darunter auch Frauen und Kinder.
    Yusuf, ein Mann Ende zwanzig, dessen Augenbrauen zusammengewachsen waren, verfügte über die besten Englischkenntnisse und fungierte als Sprecher der Gruppe. Er brauchte die anderen nicht zu fragen »Kein Problem«, sagte er sofort. »Das machen wir. Wir tun, was Sie verlangen.« Als ob er regelmäßig Frauen und Kinder umbrachte.
    Was vielleicht tatsächlich der Fall war, dachte der Geist.
    Er gab jedem der Männer zehntausend Dollar aus dem Bargeldvorrat, den er in der Wohnung bereithielt, rief dann den Leiter des Gemeindezentrums an und reichte das Telefon an Yusuf weiter, der seinem Chef auf Englisch mitteilte, welche Beträge sie erhalten hatten. Auf diese Weise würde es später keine Missverständnisse über Höhe und Verbleib der Summe geben. Sie legten auf.
    »Ich muss für eine Weile weg und einige Informationen besorgen«, sagte der Geist.
    »Wir warten so lange. Dürfen wir uns einen Kaffee machen?«
    Der Geist nickte in Richtung der Küche. Dann ging er zu einem kleinen Schrein, entzündete ein Weihrauchstäbchen und richtete ein kurzes Gebet an Yi, den himmlischen Bogenschützen der chinesischen Mythologie, den er sich als persönliche Gottheit auserkoren hatte. Schließlich steckte er seine Waffe in ein Holster am Knöchel und verließ die dekadente Wohnung.
    Sonny Li saß in einem Bus der öffentlichen Verkehrsbetriebe von Long Island, der gemächlich durch die morgendliche Rushhour rollte. Die Skyline von Manhattan wurde langsam größer.
    Li war von Natur aus zynisch und abgebrüht, doch trotzdem erfüllte ihn mit Ehrfurcht, was er sah. Damit war nicht die gewaltige Größe der Stadt gemeint, der sie sich näherten - Li stammte von der Südostküste Chinas, die zu den am dichtesten bevölkerten Landstrichen der Erde gehörte. Shanghai war doppelt so groß wie New York, und im Delta des Perlflusses zwischen Hongkong und Kanton lebten fünfzig Millionen Menschen.
    Nein, ihn faszinierte der Bus, in dem er saß.
    Busse stellten in China das wichtigste Nahverkehrsmittel dar, aber dort waren es enge, dreckige Fahrzeuge in technisch zweifelhaftem Zustand, in denen es im Sommer erstickend heiß, im Herbst und Winter hingegen eisig kalt wurde. Die Fenster waren innen zumeist von Nikotin und Haaröl, außen von einer schmierigen Rußschicht überzogen. Auch die Bushaltestellen waren alte, baufällige Bruchbuden. Hinter dem berüchtigten nördlichen Busbahnhof von Fuzhou hatte Li einst einen Mann erschossen, und nicht weit von der Stelle entfernt war er selbst einmal niedergestochen worden.
    - So etwas wie dieses Ungetüm hatte Li daher noch nie gesehen es war riesengroß und luxuriös, mit dick gepolsterten Sitzen, sauberen Böden und makellos geputzten Fenstern. Sogar an diesem drückend schwülen Augusttag funktionierte die Klimaanlage einwandfrei. Zwei Wochen lang hatte er sich jeden Tag furchtbar elend gefühlt, er war praktisch pleite und hatte keine Ahnung, wo der Geist steckte. Er besaß keine Waffe und nicht einmal eine Schachtel Zigaretten. Aber der Bus war ein Geschenk des Himmels.
    Nach seiner Flucht vom Strand war Li einige Kilometer zu einem Rastplatz am Highway gelaufen und dort von einem Fernfahrer mitgenommen worden. Der Mann hatte seine nassen, zerknitterten Klamotten gemustert und ihn hinten auf die Ladefläche steigen lassen. Nach etwa einer halben Stunde

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