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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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selbst.
    Selbstmitleid half ihnen allerdings auch nicht weiter. Er musste inständig darauf hoffen, dass die Geschichten über das Leben in den USA auf Wahrheit beruhten, nicht auf Legenden - dass das Schöne Land tatsächlich ein Land der Wunder war, wo Verbrechen ans Licht gebracht und gesühnt wurden, wo auch die schlimmsten körperlichen Leiden schnell geheilt werden konnten und wo die großzügig gewährte Freiheit ihr Versprechen erfüllte, gequälte Herzen nicht weiter zu quälen.
     
     
    ....Siebzehn
    Um halb zwei an jenem Nachmittag ging der Geist schnellen Schrittes durch Chinatown und hielt dabei den Kopf gesenkt, weil er wie üblich fürchtete, erkannt zu werden.
    Für die meisten Westler war er natürlich unsichtbar und verschwand in der Masse der einheitlich asiatischen Menschen, denn weiße Amerikaner vermochten meistens nicht zu erkennen, ob sie einen Chinesen, Japaner, Vietnamesen oder Koreaner vor sich hatten. Für seine Landsleute hingegen besaß der Geist ein unverwechselbares Gesicht, und er war entschlossen, anonym zu bleiben. Vor einigen Jahren hatte er einen Verkehrsrichter in Hongkong mit zehntausend Dollar bestochen, um nicht wegen einer unbedeutenden Handgreiflichkeit festgenommen und für das Strafregister fotografiert zu werden. Sogar Interpols automatisierte Fahndungs- und Archivsektion sowie der analytische Nachrichtendienst dieser internationalen Zentralstelle hatten keine verlässlichen Überwachungsbilder von ihm. (Er wusste das, weil in seinem Auftrag ein Hacker aus Fuzhou trotz der vermeintlich sicheren Verschlüsselung in die Interpol-Datenbank eingedrungen war.)
    Also beeilte er sich nun und blickte dabei nach unten - meistens jedenfalls.
    Aber nicht ständig.
    Er hob immer wieder den Kopf, um die Frauen zu mustern, die hübschen und die jungen, die üppigen und die schlanken, die schüchternen, die koketten und die furchtsamen. Die Verkäuferinnen, die Halbwüchsigen, die Verheirateten, die Geschäftsfrauen, die Touristinnen. Asiatin oder Europäerin, das war ihm völlig egal. Er wollte einen weiblichen Körper unter sich spüren, der leise wimmerte - vor Lust oder vor Schmerz (auch das spielte keine Rolle) -, während der Geist immer wieder in die Frau hineinstieß und ihren Kopf fest zwischen den Händen hielt.
    Eine Frau mit hellbraunem Haar kam vorbei, eine Westlerin. Er verlangsamte das Tempo und sog den Duft ihres Parfüms ein. Die Begierde wurde immer stärker, wenngleich ihm bewusst war, dass er sich eigentlich nicht nach dieser Frau sehnte, sondern nach seiner Yindao.
    Doch genug der Tagträume; er hatte das Gebäude der Nachbarschaftsvereinigung erreicht, wo die Türken bereits auf ihn warteten. Er spuckte auf den Gehweg, ging zur Hintertür, die man für ihn offen gelassen hatte, und trat ein. Er stieg bis in die oberste Etage hinauf. Es war an der Zeit, ein wichtiges Gespräch zu führen.
    In dem großen Büro standen Yusuf und die beiden anderen Türken. Es hatte nicht viel erfordert - ein paar Anrufe, eine Drohung und eine Bestechung -, um den Namen des Mannes herauszufinden, der nun auf einem Stuhl vor seinem eigenen Schreibtisch saß und vor lauter Angst fast in Tränen ausbrach.
    Als der Geist den Raum betrat, schlug Jimmy Mah die Augen nieder. Der Schlangenkopf zog einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn. Dann nahm er ganz beiläufig Mahs Hand - was unter chinesischen Männern eine nicht unübliche Geste war - und spürte das Zittern der Muskeln und den schnellen Schlag des furchtsamen Herzens.
    »Ich wusste nicht, dass diese Leute auf der Dragon gekommen sind. Sie haben nichts davon erzählt! Ich schwöre. Sie haben mich angelogen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nicht mal von dem Schiff gehört. Ich habe heute Morgen keine Nachrichten gesehen.«
    Der Geist ließ die Hand des Mannes nicht los, sondern verstärkte nur leicht den Druck und sagte nichts.
    »Werden Sie mich töten?«, fragte Mah so leise, dass er den Satz gleich noch einmal wiederholte, obwohl der Geist ihn zuvor schon verstanden hatte.
    »Die Changs und die Wus. Wo sind sie?« Der Geist drückte noch ein wenig fester zu und registrierte erfreut das Stöhnen des Mannes. »Wo sind sie?«
    Mah schaute kurz zu den Türken. Er hatte überlegt, welche schrecklichen Waffen sie wohl bei sich hatten, Messer, Garotten oder Pistolen.
    Doch am Ende war es einfach nur der leichte Druck einer Hand des Geists, die dem armen Jimmy Mah die Zunge löste.
    »An zwei verschiedenen Orten, Sir. Wu Qichen sitzt in

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