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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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nachmittägliche Rushhour hatte noch nicht eingesetzt, aber dennoch herrschte dichter Verkehr, und Amelia benötigte all ihr Geschick.
    »He, Hongse«, warf Sonny Li nervös ein, als sie mit Tempo hundertzehn an einem Taxi vorbeischlitterten. Aber dann zog er es offensichtlich vor, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf die Straße richtete, und schwieg.
    Auf der Rückbank saßen Eddie Deng, der sich nicht an dem Fahrstil zu stören schien, und Alan Coe, dem es in dieser Hinsicht eindeutig wie Sonny Li ging. Er umklammert den Brustriemen seines Sicherheitsgurts, als wäre er aus einem Flugzeug gesprungen und dies die Reißleine seines Fallschirms.
    »Habt ihr das gesehen?«, fragte Sachs ganz beiläufig, als ein Taxifahrer Sirene und Warnlicht des Einsatzwagens ignorierte und unmittelbar vor ihnen n die Ausfahrt zur Houston Street einscherte.
    »Wir sind ziemlich schnell unterwegs«, sagte Li, erinnerte sich wieder daran, dass er Amelia nicht ablenken wollte, und verstummte.
    »Wo entlang, Eddie?«, fragte Sachs.
    »Zur Bowery. Da vorn links und nach zwei Blocks dann rechts.«
    Sie bog mit achtzig Sachen auf die regennasse Canal Street ein, fing den schlingernden Wagen kurz vor einem Mülllaster wieder ab und beschleunigte nach Chinatown hinein. Der zugstarke Polizeimotor sprach sofort auf das Gaspedal an.
    Li murmelte etwas auf Chinesisch.
    »Was haben Sie gesagt?«
    »Bei den zehn Richtern der Hölle«, übersetzte er.
    Sachs erinnerte sich - die zehn Richter der Hölle, die das Verzeichnis der Lebenden und der Toten führten, in dem jeder Mensch auf dieser Welt einen Eintrag besaß. Das Hauptbuch von Leben und Tod.
    Mein Vater Herman steht bereits auf der Seite der Toten, dachte sie. Wo ist mein Name wohl verzeichnet? Und die Namen der Menschen, die mir etwas bedeuten? Oder mir in Zukunft etwas bedeuten werden?
    Leben und Tod.
    »Ah, Miss Sachs. Hier stecken Sie also.«
    »Hallo, Doktor.«
    »Ich habe gerade mit Lincoln Rhymes Arzt gesprochen.«
    »Ja?«
    »Und jetzt muss ich unbedingt mit Ihnen reden.«
    »Das klingt nach schlechten Neuigkeiten, Doktor.«
    »Äh, Officer«, riss Deng sie aus ihren Gedanken. »Ich glaube, das da vor uns ist eine rote Ampel.«
    »Kein Problem«, sagte sie und bremste bis auf fünfzig Kilometer pro Stunde ab, um die Kreuzung zu überqueren.
    »Gan«, flüsterte Li und übersetzte den Ausdruck sogleich, obwohl Sachs die Bedeutung bereits erraten hatte: »Scheiße.«
    Drei Minuten später kam der Wagen der Spurensicherung mit quietschenden Reifen vor einer Gasse zum Stehen, an der sich eine Gruppe Schaulustiger drängte. Die Leute wurden von einem gelben Absperrband und einem halben Dutzend uniformierter Streifenbeamten zurückgehalten. Die Vordertür eines kleinen Lagerhauses stand offen. Sachs und Deng stiegen aus.
    »He, Detective«, rief Eddie einem blonden Mann in einem Anzug zu. Der nickte, und Deng stellte ihn Amelia Sachs vor. Er war für die Mordkommission des Fünften Reviers tätig.
    »Sie sichern die Spuren?«, fragte er.
    Sachs nickte. »Was ist das für ein Schuppen?«
    »Ein Warenlager. Der Eigentümer scheint sauber zu sein. Wir haben uns mit ihm in Verbindung gesetzt, aber er weiß nichts, außer dass das Opfer - ein Kerl namens Jerry Tang - hier gearbeitet hat. Acht Festnahmen, zwei Verurteilungen. Meistens hat er Autos geklaut und dann selbst als Fluchtwagen gesteuert. Außerdem hat er hin und wieder Geld eingetrieben.«
    Er deutete auf einen silbernen BMW, der in der Gasse stand. Ein X5. Damit war Tang am Morgen nach Long Island gefahren, um den Geist abzuholen. In der Heckklappe war ein Einschussloch. Demnach hatte der Geist sein Ziel nicht verfehlt, als Tang ihn im Stich ließ.
    Jemand hatte Schreie aus diesem Gebäude gehört und die Polizei verständigt. Als die Streifenbeamten eintrafen, fiel ihnen der brandneue BMW mit dem Einschussloch auf, und sie betraten das Lagerhaus.
    Dort stießen sie auf Jerry Tangs sterbliche Überreste. Man hatte ihn mit einem Messer oder einer Rasierklinge gefoltert - Teile der Haut und die Augenlider fehlten - und dann getötet.
    Sachs wusste, dass Rhyme es hasste, wenn jemand sich als scharfsinniger als er selbst erwies - völlig egal, ob es sich dabei um einen anderen Polizisten oder einen Täter handelte. Als klar wurde, dass Sonny Li, dieser kleine, unscheinbare Detective, mit seiner Vermutung richtig lag, dass der Geist zuerst den Mann ermorden würde, der ihn seinem Schicksal überlassen hatte, hatte dies die finstere Stimmung des

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