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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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nickten.
    Der Geist ließ den Blick über die ruhige Straße schweifen, deren andere Seite von zwei lang gestreckten Lagerhäusern eingenommen wurde. Auf halber Höhe des Blocks führte eine Gasse zwischen den Gebäuden hindurch. Die Wohnung der Changs müsste unmittelbar jenseits der Lagerhäuser sein. Für den Fall, dass Chang, seine Söhne oder der Vater den Vordereingang bewachten, wollte der Geist sich durch die Gasse der Rückseite nähern und durch die Hintertür eindringen, während einer der Türken nach vorn rannte, um eine Flucht der Familie zu verhindern.
    »Setzt die Masken wie Mützen auf, bis wir beim Haus sind«, sagte er auf Englisch.
    Die Männer nickten und kamen der Aufforderung nach. Mit ihrer dunklen Hautfarbe und der gestrickten Kopfbedeckung sahen sie wie schwarze Gangster in einem bizarren Rap-Video aus.
    Auch der Geist setzte die Maske auf.
    Er verspürte einen Anflug von Angst, wie meistens in solchen Momenten kurz vor einem Kampf. Es bestand die Möglichkeit, dass Chang eine Schusswaffe besaß oder dass die Polizei die Familie längst gefunden und in Gewahrsam genommen hatte, um dem Geist in der Wohnung eine Falle zu stellen.
    Dann aber rief er sich ins Gedächtnis, dass zur Demut auch Angst gehörte und dass es die Demütigen waren, die auf dieser Welt Erfolg hatten. Er dachte an eine seiner Lieblingspassagen aus dem Taoteking:
    Gib nach, und du wirst nicht zerbrechen.
    Wer gebeugt ist, kann sich wieder aufrichten.
    Wer leer ist, kann in sich aufnehmen.
    Wer Schaden genommen hat, kann genesen.
    Im Stillen fügte der Geist eine eigene Zeile hinzu: Wer Angst hat, kann Mut schöpfen.
    Er sah zu Yusuf herüber, der neben ihm auf dem Beifahrersitz saß. Der Uigure nickte ihm entschlossen zu. Und mit den geschickten Handgriffen erfahrener Profis überprüften sie ihre Waffen.
     
     
    ...Zweiundzwanzig
    Sonny Li hatte wirklich gute Zigaretten gefunden.
    Camel ohne Filter, die fast genauso schmeckten wie seine Lieblingsmarke aus China. »Ich setze fünf«, sagte er und inhalierte tief. Dann schob er die Chips nach vorn und musterte die anderen Pokerspieler, die sich reihum ihren Einsatz überlegten. Der billige Holzfasertisch, an dem sie saßen, wies die Spuren unzähliger schwitzender Hände und verschütteter Gläser auf.
    Der Spielsalon lag an der Mott Street mitten in Chinatown, denn hierhin war Sonny gefahren, um seine Zigaretten zu kaufen. Wahrscheinlich hatte Loaban nicht an einen solch langen Ausflug gedacht, als er Li gestattete, sich Glimmstängel zu besorgen, aber das war egal. Er würde noch früh genug zurückkehren. Es bestand kein Grund zur Eile.
    Das Etablissement war ziemlich groß, wurde überwiegend von Fujianesen besucht (er wollte vermeiden, dem kantonesischen Türsteher in die Arme zu laufen, den er am Vormittag überfallen hatte) und konnte mit einer großen Bar und drei Zigarettenautomaten aufwarten. Abgesehen von den gedämpften Lampen über den Spieltischen war es dunkel im Raum, aber dank seines geschulten Polizistenauges hatte er fünf bewaffnete Wachen entdeckt.
    Dennoch rechnete er nicht mit Problemen, denn er wollte weder Pistolen klauen noch hübsche Jungs verprügeln. Er war lediglich hier, um zu spielen, zu trinken und zu plaudern.
    Lachend gewann er die Runde und schenkte jedem der Mitspieler einen maotai ein, nur dem Kartengeber nicht, für den striktes Alkoholverbot bestand. Die Männer erhoben ihre Gläser und kippten den klaren, starken Schnaps auf einen Zug hinunter. Maotai war die chinesische Ausgabe eines kräftigen Selbstgebrannten und wurde nicht in kleinen Schlucken getrunken; man schüttete sich das Zeug so schnell wie möglich in den Schlund.
    Bald kam Li mit den anderen Männern am Tisch ins Gespräch. Eine Flasche Schnaps und ein Dutzend Camels später schätzte er seinen gesamten Verlust auf sieben Dollar.
    Er entschied sich gegen ein weiteres Glas und stand auf, um zu gehen. Mehrere der Mitspieler baten ihn, noch zu bleiben. Sie hatten Spaß an seiner Gesellschaft. Aber Li erzählte ihnen, seine Geliebte würde bereits auf ihn warten, worauf die anderen Männer begeistert nickten.
    »Die vögelt dich gründlich durch«, sagte ein alter betrunkener Chinese. Li hatte keine Ahnung, ob das als Frage oder Feststellung gemeint war.
    Er lächelte wissend, um den anderen die erstklassige Qualität seines Liebeslebens zu bestätigen, und ging zur Tür. In Wahrheit jedoch hatte diese Spielhalle sich als nicht besonders ergiebig für ihn erwiesen, und er

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