Das Gesicht des Fremden
Lebtag noch nich lange Finger gemacht!« Er bekreuzigte sich hastig, und Monk war nicht sicher, ob er es tat, um seine Aufrichtigkeit zu bekräftigen oder weil er wegen der Lüge um Vergebung bat. »In den Wonneschuppen haben Se’s wohl schon probiert, wie?« fuhr der Mann fort und schnitt eine Grimasse. »Schwer loszuwerden, so ’ne Jade-Lady.«
Evan machte ein etwas verwirrtes Gesicht, wenn Monk auch nicht ganz verstand weshalb.
»Pfandhäuser«, übersetzte er. »Die Diebe entfernen natürlich alles, was zur Identifizierung der Beute führen könnte, aber bei Jade läßt sich das schlecht bewerkstelligen, ohne das Objekt zu beschädigen.« Er zog fünf Schillinge aus der Tasche und gab sie dem Mann. »Kommen Sie übermorgen wieder. Wenn Sie dann was Brauchbares für mich haben, kriegen Sie den Sovereign.«
»Is gut, Mann, aber nich hier. Unten inner Plumbers Row, gleich bei der Whitechapel Road, gibt’s ’ne Kneipe, die heißt ›Zur purpurroten Ente‹. Kommen Se dahin!« Er musterte Monk mißbilligend. »Und kommen Se bloß in vernünftigen Klamotten – nich so wie jetzt, daß Se aussehn wie ’n voll aufgetakelter Schwafler! Und vergessen Se die Kohle nich, ich werd Ihnen nämlich was liefern. Macht’s gut, Leute.« Er warf Evan einen letzten skeptischen Blick zu, rutschte von der Bank und verschwand im allgemeinen Gedränge. Monk war in Hochstimmung; er jubilierte innerlich. Sogar der viel zu schnell abgekühlte Pflaumenpudding war auf einmal erträglich. Er schaute Evan mit breitem Grinsen an.
»Wir sollen uns verkleiden«, klärte er ihn auf. »Damit man uns nicht für zwei Moralapostel hält.«
»Ach so.« Evan entspannte sich und begann allmählich selbst Spaß an dem Ganzen zu finden. »Alles klar.« Er betrachtete den Pulk von Gesichtern, hinter deren Schmutzschicht er wahre Mysterien vermutete, die ihm seine Phantasie in den schillernden Farben ausmalte.
Am übernächsten Tag stieg Monk gehorsam in entsprechend zerschlissene Kleidungsstücke; ihr Informant hätte sie wahrscheinlich »Aufpäppler« genannt. Er wünschte, er könnte sich an den Namen des Mannes erinnern, aber er blieb ihm genauso hartnäckig verborgen wie beinah alles nach seinem siebzehnten Lebensjahr.
Wenig später saßen Evan und er im Schankraum der »Purpurroten Ente«. Evans Gesicht spiegelte sowohl seinen Abscheu als auch seine Bemühungen, sich diesen nicht anmerken zu lassen, wider. Während er ihn betrachtete, rätselte Monk, wie oft er selbst schon hier gewesen sein mußte, daß es ihm so gar nichts ausmachte. Der Krach, der Gestank, der ungewollt enge Kontakt zu andern Menschen – all das schien sein Unterbewußtsein zu kennen, während sein Verstand nicht das geringste davon wußte.
Sie mußten fast eine Stunde warten, bis ihr Mann erschien. Dafür grinste er siegessicher, als er sich ohne ein Wort auf den Platz neben Monk plumpsen ließ.
Monk hatte nicht die Absicht, den Preis zu gefährden, indem er zu wißbegierig erschien.
»Durstig?« erkundigte er sich.
»Nee, höchstens auf den Guinee. Bin nich scharf drauf, mit Kerlen wie euch beim Trinken gesehn zu werden. Nix für ungut, aber die Jungs hier haben ’n scharfes Gedächtnis und ’n loses Mundwerk.«
»Das glaub ich gern«, pflichtete Monk ihm bei. »Aber die Guinee müssen Sie sich erst verdienen.«
»Bah – jetzt machen Se aber mal halblang, Mr. Monk! Hab ich Sie je aufs Kreuz gelegt, ha? Hab ich?«
Monk hatte keine Ahnung.
»Haben Sie meinen Fälscher gefunden?«
»Wo die Jade is, weiß ich nich. Jedenfalls nich genau.«
»Haben Sie den Fälscher gefunden?«
»Kennen Se Tommy, den Blütenmann?«
Monk spürte einen Anflug von Panik. Evan, den das Gefeilsche zu faszinieren schien, ließ ihn nicht aus den Augen. Sollte er diesen Tommy kennen? Was ein »Blütenmann« war, wußte er: jemand, der Falschgeld unter die Leute brachte.
»Tommy?« fragte er verständnislos.
»Hab ich doch gesagt, oder?« kam es unwirsch zurück.
»Tommy der Blinde. Jedenfalls tut er so, als ob er blind war. Wenn Se mich fragen, iss er nich blinder als Sie oder ich.«
»Und wo finde ich ihn?« Wenn es ihm gelang, zu nichts und niemand eine konkrete Aussage zu machen, konnte er sich vielleicht auch so durchmogeln.
»Wo Se den finden?« Der Mann schnaubte verächtlich; die Vorstellung war einfach absurd. »Sie finden den nie allein! Is auch viel zu gefährlich, der sitzt mitten in ’n Rookeries. Wenn Se da mutterseelenallein reinspaziert kommen, kriegen Se
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