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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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einen Mann, der auf offener Straße erstochen wurde. Hier steht, wir sollten langsam unsre Arbeit tun, sonst müßte man uns durch jemand ersetzen, der mehr taugt.«
    »Wie kommen die Leute bloß auf die Idee, es gäbe in ganz London nur einen, der dazu fähig ist, einen Menschen zu erstechen?« fragte Monk verbittert.
    »Weil sie wütend und verängstigt sind«, fuhr Runcorn ihn an.
    »Und weil sie sich von denen im Stich gelassen fühlen, die sie eigentlich schützen sollen. Deshalb.« Er knallte die Zeitung auf die Tischplatte. »Es ist ihnen egal, ob Sie sich wie ein Gentleman ausdrücken können oder wissen, wie man Messer und Gabel benutzt, Mr. Monk. Aber es ist ihnen nicht egal, ob Sie in der Lage sind, Ihren Job zu tun und Mörder zu fangen und die Straßen von verbrecherischen Elementen zu säubern!«
    »Denken Sie, Lord Shelburne hätte diesen Mann in Stepney erstochen?« Monk sah Runcorn direkt in die Augen. Er war froh, jemand offen hassen zu dürfen und ohne schlechtes Gewissen ins Gesicht lügen zu können.
    »Natürlich nicht! Aber ich denke, es ist höchste Zeit, daß Sie Ihr affektiertes Getue endlich sein lassen und so mutig sind, Ihre Karriere für einen Augenblick zu vergessen, um Lord Shelburne zu verhaften.«
    »Ach ja? Nun, da muß ich Sie leider enttäuschen, denn ich bin keineswegs von seiner Schuld überzeugt«, sagte Monk gelassen, während er seinen Vorgesetzten unerschüttert ansah. »Falls Sie es sein sollten, müssen Sie ihn schon selbst festnehmen.«
    »Ich kriege Sie wegen Beleidigung dran!« brüllte Runcorn, die Hände zu kalkweißen Fäusten geballt. »Ich werde verdammt noch mal dafür sorgen, daß Sie nie auf einen höheren Posten kommen, solang ich hier im Revier bin! Haben Sie mich verstanden?«
    »Und ob ich Sie verstanden habe.« Monk blieb gelassen.
    »Obwohl es vollkommen überflüssig war, das extra zu erwähnen. Ihr Benehmen hat es längst offensichtlich gemacht. Es sei denn, Sie möchten, daß es die gesamte Belegschaft erfährt – geschrien haben Sie jedenfalls laut genug. Was mich betrifft, weiß ich schon lange, was Sie vorhaben. Und jetzt« – er stand auf und ging an Runcorn vorbei zur Tür –, »würde ich mich gern auf den Weg machen, wenn Sie mir sonst nichts zu sagen haben. Ich muß noch ein paar Zeugen vernehmen.«
    »Ich gebe Ihnen bis Ende der Woche Zeit«, kreischte Runcorn mit hochrotem Kopf hinter ihm her, aber Monk lief bereits die Treppe hinunter, um sich unten Hut und Mantel zu holen. Das einzig Gute am totalen Desaster war, daß alle kleineren Übel darin untergingen.
    Bis er das Haus der Latterlys erreicht hatte und vom Stubenmädchen hineingelassen worden war, stand sein Entschluß fest, das einzige zu tun, was ihn vielleicht zur Wahrheit führen könnte. Laut Runcorn hatte er noch eine Woche, Evan würde lange davor zurück sein. Ihm blieb nicht viel Zeit.
    Er verlangte Imogen zu sprechen, und zwar unter vier Augen. Das Stubenmädchen zögerte, doch da es recht früh am Vormittag war, Charles sich außer Haus befand und es ihr nicht zustand, ihm etwas abzuschlagen, bat sie ihn, im Salon zu warten.
    Monk lief unruhig auf und ab, bis er in der Halle schließlich leichte, energische Schritte vernahm und die Tür aufging. Er fuhr herum. Vor ihm stand nicht Imogen, sondern Hester Latterly.
    Im ersten Moment empfand er bodenlose Enttäuschung, dann ein Gefühl, das beinah an Erleichterung grenzte. Er bekam noch einen Aufschub! Hester war noch nicht lange in England; wenn Imogen ihr nicht alles anvertraut hatte, konnte sie ihm nicht weiterhelfen. Es würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als wiederzukommen. Und er mußte die Wahrheit herausfinden, so sehr er sich auch davor fürchtete.
    »Guten Morgen, Mr. Monk«, sagte Hester neugierig. »Was können wir diesmal für Sie tun?«
    »Ich fürchte, Sie können mir nicht helfen«, erwiderte er. Er mochte sie zwar nicht, aber es war sinnlos und unvernünftig, unfreundlich zu ihr zu sein. »Ich muß mit Mrs. Latterly sprechen, weil sie hier war, als Major Grey starb. Sie waren zu der Zeit noch im Ausland, soviel ich weiß?«
    »Ja, das stimmt. Aber es tut mir leid, Imogen ist den ganzen Tag nicht zu Hause und kommt wahrscheinlich erst am späten Abend zurück«, meinte sie mit leichtem Stirnrunzeln. Monk war sich ihres scharfen Verstands und ihrer guten Beobachtungsgabe unangenehm bewußt. Imogen war herzlicher, bei weitem nicht so schroff, aber Hesters Intelligenz war seinem Anliegen womöglich

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