Das Gesicht des Teufels
ihrem Stuhl herab, stellte sich kerzengerade vor Ulrich hin und fragte: «Was ist mehr wert: ein Mantelkind oder ein Onkel?»
Ulrich lachte auf: «Das kommt ganz auf den Onkel an, Marie. Aber wenn beides zusammenkommt, dann ist das schon ein sehr großes Glück.»
«Und habe ich es verdient?», fragte Marie plötzlich ernst und fast schon eingeschüchtert.
«Das musst du selbst herausfinden.»
Er kniff Marie in die Wange, Hanna aber liefen Freudentränen über das Gesicht. Aber obwohl dies nun einer der glücklichsten Momente ihres Lebens war, konnte sie ihn nicht richtig genießen. Irgendetwas beunruhigte sie. Als habe sich eine unsichtbare Schlinge um meinen Hals gelegt, dachte sie. Eine Schlinge, die sich von Tag zu Tag enger zuziehen wird.
Es ging auf den Spätnachmittag zu. Der Himmel hatte sich bewölkt, aber es blieb frühlingswarm, und die Luft am Tauberweg duftete, als würden unsichtbare Geister die Ufersträucher parfümieren. Hanna schmiegte sich schläfrig an Ulrich, die Aufregung des gestrigen Tages forderte ihren Tribut.
Eine gute Reitstunde würden sie unterwegs sein, hatte Ulrich ihr erzählt, mehr hatte er sich nicht entlocken lassen. Aber das mit Decken, Kleidung und Lebensmitteln beladene Packpferd hinter ihnen verriet Hanna genug. Es ist richtig so, dachte sie. Besser, wir tauchen eine Weile unter. Nicht von ungefähr heißt es: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Bis auf ein Quartett Bäuerinnen, die sich mit Dreschflegeln bewaffnet hatten, kam ihnen niemand entgegen. Ulrich sprach sie an, ob sie denn auf keine Kinder aufzupassen hätten, da wurde eine der Frauen so wütend, dass sie ausholte. Raban machte einen Satz, der schwere Flegel schlug ins Leere und riss die Frau zu Boden. Hanna hörte ihre Begleiterinnen lachen, sie sah zurück.
Die Frau kauerte weinend im Dreck. Als sich ihre Blicke kreuzten, schrie sie: «Hexe!»
Schließlich bogen sie nach Steinbach ab. Das Gehöft, erklärte Ulrich, gehöre Aufreiters Schwiegereltern: «Einst besaß es meine Großmutter. Mein Großvater hat es nach ihrem Tod an Aufreiters Schwiegereltern verkauft. Auch sie bauen Hafer an. Eine sichere Frucht, denn Pferde wird es immer geben. Beide gelten als äußerst hartherzig. Ihre Hedwig aber wollten sie unbedingt reich verheiraten. Ich kam gut mit ihr aus, aber sie war frech. Und das gefiel natürlich meiner Schwester nicht, die sie gerne zur Nonne gemacht hätte. Aber das gelang ihr nicht einmal bei Josepha, Hedwigs taubstummer Schwester.»
«Was wurde aus Hedwig?
«Sie hat Jacob Aufreiter geheiratet, starb dann aber im Kindbett. Es gab damals das Gerücht, Aufreiter habe sie während der Schwangerschaft geschlagen, weil er sich einbildete, das Kind, das sie erwartete, sei nicht von ihm. Ein völlig unsinniger Verdacht. Trotzdem bleibt mir bis heute rätselhaft, warum ihre Eltern in unserem Stadtrichter einen guten Schwiegersohn sahen.»
Der Weg führte mitten durch die Besitzung. Bis auf zwei wasserschleppende Mägde war niemand zu sehen. Hannas Blick schweifte über Feldstücke, auf denen grüne Haferpflanzen wuchsen. Am Wegrain bogen sich Kletten vom Vorjahr mit braunen wolligen Blüten. Eine Magd riss einige von ihnen heraus und schnitt die Wurzeln ab.
Klettenwurzelöl, dachte Hanna. Mutter hat damit früher immer ihre Hände gepflegt. Marie und ich bekamen es ins Haar massiert.
Ein Hahn krähte, kurz darauf rief ein Kuckuck.
Es ist der erste, den ich höre, dachte Hanna. Ein Frösteln ergriff sie, denn der Himmel hatte sich noch weitereingetrübt. Sie drehte sich zu Ulrich um und erschrak, wie ernst seine Miene war. Als wisse er darum, lächelte er schnell und küsste sie, doch Hanna wurde das Gefühl nicht los, dass etwas Ungutes um dieses Gehöft war. Vielleicht hat deswegen der Kuckuck gerufen?, fragte sie sich. Vater hat uns Kindern immer erzählt, er sei ein Wächter, um die, die reinen Herzens sind, zu warnen.
Doch wer ist gemeint? Ulrich oder ich?
Der Weg endete in einer Wiese und führte dahinter weiter durch den Wald. Es ging bald leicht bergauf, schließlich erreichten sie einen kaum zu erahnenden Pfad, der steil den Hang hinaufführte. Sie stiegen vom Pferd und stapften eine halbe Stunde bergan. Endlich betraten sie eine kleine Lichtung.
«Wir sind da.» Ulrich zeigte auf den hüttenähnlichen Anbau, der an einen breit aufragenden Felsen gezimmert war. «Sieht zwar aus wie ein Schanzwerk, aber du siehst: Verkommen ist es nicht. Es hat eine Tür und ein Fenster und innen
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