Das Gesicht des Teufels
zu würgen. Sie schaffte es gerade noch aus der Kirche, damusste sie sich schon übergeben. Ihr Leib brannte, und als sie den grüngelben Auswurf mit Schnee überdeckte, hatte sie zusätzlich starke Kopfschmerzen.
Möglicherweise liegt es am Roggenmus, dachte sie. Vielleicht aber auch an den Nüssen. Zusammen mit Wein … Wenn Ursula es nicht hat, dann, weil sie gestern Abend nur Brot und Speck gegessen hat. Zum Frühstück wird sie sich ein Mus kochen. Wenn es ihr dann ähnlich ergeht, war’s doch das Roggenmus.
Sie schleppte sich vorwärts. Mehrfach musste sie stehen bleiben, weil sie heftiges Würgen überfiel. Sie hielt sich den Kopf, konnte sich nicht erinnern, jemals derart auf- und abwogende Schmerzen erlitten zu haben.
Irgendwo flog eine Tür auf, es roch nach angebrannter Grütze und Honigmus. Hanna hörte ein Kind weinen, hinter dem Haus jaulte ein Hund. Ein Mann torkelte heraus und erbrach sich auf den Misthaufen. «Ich kenn dich doch», stöhnte der Mann, als er aufschaute. «Du bist die Völz.»
«Sicher. Und mir geht’s genauso schlecht.»
«Du lügst doch.»
«Unsinn, schaut mich doch an! Ich bin aus der Kirche geflüchtet.»
«Ja, weil du eine Hexe bist.»
Der Schreck durchfuhr Hanna siedend heiß. Sie begann zu laufen und sah, als sie sich umdrehte, wie sich der Mann erneut zusammenkrümmte. Der Anfall war so heftig, dass er in die Knie sackte. Hanna hörte ihn nach seiner Frau rufen. Weil ihr selbst wieder übel wurde, musste sie stehen bleiben. Entsetzt sah sie, wie die Frau eine Schüssel Honigmus auf den Misthaufen kratzte und einen angeschnittenen Laib Brot in den Dreck trat.
«Flieh nur, du Hexe. Wir kriegen dich!»
Hanna bekam so viel Angst, dass diese stärker wurdeals ihre Übelkeit und die Kopfschmerzen. Mit einem Mal war ihr klar, worunter sie und der Bauer litten. Wir müssen schlechtes Korn vom Herren-Müller gegessen haben, durchfuhr es sie. Über irgendwelche Umwege muss es wieder in den Verkauf gekommen sein. Gestern hat Ursula in Neusitz noch schnell beim Bauern ein Säckchen gekauft. Himmel, wir haben uns vergiftet. Ich habe die Brandseuche.
Und Ulrich ist noch immer in Mergentheim. Wenn sie jetzt kommen und mich holen …
Ihr lief es kalt über den Rücken. Sofort war die Angst wieder da, kaum wusste sie, wie sie nach Hause kam. Ursula riss gerade die Decke des Meilers ein, um neue Kohlestämme zu ernten. Dampf- und Rauchschwaden hüllten sie ein, Gesicht und Arme waren rußig, trotz der Kälte stand ihr der Schweiß auf der Stirn.
«Nichts essen!», rief Hanna.
Ursula, die sie nicht hatte kommen hören, fuhr herum.
«Was ist denn mit dir? Du siehst aus, als kämst du von einer Hinrichtung.»
Hanna legte die Hände gegen die Schläfen, schüttelte den Kopf. Mit wenigen Worten erzählte sie Ursula, wie es ihr ging, woraufhin diese sofort hinter die Hütte rannte. «Steck dir den Finger in den Hals!», rief Hanna ihr nach. «Es muss alles raus.»
Sie selbst wankte in die Hütte und brach auf ihrem Lager zusammen. Kalter Schweiß rann ihr über Brust und Rücken und verklebte ihr Unterkleid. Hanna zog sich aus, legte mit letzter Kraft Ulrichs Kleid in die Truhe und schlüpfte unter ihr Fell. Mit angezogenen Beinen rollte sie sich auf die Seite und schickte ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel, sie möge von neuen Übelkeitsschüben verschont bleiben.
Eine Weile lang hatte sie Glück, doch dann spürte sieeine Kolik nahen. Hanna presste die Hände gegen ihren Leib. Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn, und sie knirschte vor Qual mit den Zähnen. Zum Glück dauerte der Anfall nicht lange, stöhnend raffte Hanna sich auf. Mit einer um den Leib geschlungenen Decke stakste sie zur Latrine. Splitternackt wartete sie die nächste, noch stärkere Kolik ab, danach ging es ihr besser. Übelkeit und Kopfschmerzen wurden schwächer, als sie wieder auf ihrem Lager lag, wusste sie, dass es vorbei war.
Sie schlief ein und träumte von Ulrich und Marie. Er hielt sie auf seinem Rappen vor sich und ritt mit ihr im Kreis. Sie wollte auch mit aufs Pferd, aber ihre Beine waren wie gelähmt. Immer größer wurde der Kreis, er wuchs mit ihrer Sehnsucht. In einer riesigen Kraftanstrengung gelang es ihr, einen Schritt vorwärts zu machen, da hatte sich Marie plötzlich in Frederike verwandelt. Und auf einmal saßen Ulrich und sie auf je einem Pferd und ritten davon, ohne sich noch einmal umzuschauen. Dies tat so weh, dass sie glaubte, eine unsichtbare Kraft risse ihr das
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