Das Gesicht
erinnerte, dass sie das Mittagessen hatte ausfallen lassen.
Als sei er nicht im Mindesten überrascht, sie zu sehen, griff Harker das Gespräch da wieder auf, wo es abgerissen war, und sagte: »Es heißt, der Bürgermeister würde spätestens zum Wochenende auf die Einrichtung eines Sonderdezernats drängen. Falls wir demnächst als Team zusammenarbeiten wollen, können wir ebenso gut gleich mit dem Gedankenaustausch beginnen.«
Carson erwiderte: »Sie sollten eigentlich wissen, in welchem Ruf Sie stehen. Sie und Frye gelten allgemein als erfolgsgeil. «
»Der reine Neid«, sagte Harker verächtlich. »Wir schließen mehr Fälle ab als jeder andere.«
»Manchmal, indem Sie den Verdächtigen abknallen«, sagte
Michael und bezog sich damit auf eine Schießerei vor gar nicht langer Zeit, in die ein Polizeibeamter verwickelt gewesen war; Harker war einer Anzeige mit knapper Not entgangen.
Harkers Lächeln war herablassend. »Wollen Sie meine Theorie über den Wachmann der Bibliothek hören?«
Michael entgegnete: »Wünsche ich mir Krebs an der Bauchspeicheldrüse?«
»Die schwarzen Zimmer stehen für einen Todeswunsch«, mutmaßte Harker.
»Verdammt noch mal«, sagte Carson.
»Mit jeder einzelnen dieser Rasierklingen, die im Badezimmer in der Wand stecken, hat er sich die Pulsadern aufzuschneiden versucht«, fuhr Harker fort. »Aber er hat einfach nicht den Mut aufgebracht.«
»Sie und Frye waren in Allwines Wohnung?«
»Klar. Ihr beide«, sagte Harker, »seid nämlich unsere Babys, und manchmal halten wir es für nötig, dafür zu sorgen, dass ihr brav euer Bäuerchen macht.«
Er zwängte sich zwischen ihnen durch und ging; nach ein paar Schritten sah er sich noch einmal um. »Wenn ihr euch endlich eine eigene Theorie zurechtgelegt habt, höre ich sie mir mit Vergnügen an.«
Michael murmelte zu Carson: »Ich weiß auch ein paar Herzen, die ich gern rausschneiden würde.«
20
Nachdem Victor die eheliche Schlafzimmersuite verlassen hatte, schlüpfte Erika in ein St.-John-Kleid, das den Balanceakt fertig brachte, sensationell und doch korrekt zu sein, subtil sexy und gleichzeitig von klassischer Eleganz.
Als sie vor einem Ganzkörperspiegel in ihrem riesigen begehbaren Kleiderschrank stand, der allein schon so groß war wie die meisten Prachtschlafzimmer, wusste sie, dass sie zauberhaft aussah und bei jedem Mann, der zum Essen kam, einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen würde. Dennoch fühlte sie sich der Situation nicht gewachsen.
Sie hätte andere Kleider anprobiert, wenn das Eintreffen der ersten Gäste nicht schon in wenigen Minuten zu erwarten gewesen wäre. Victor wünschte sie an seiner Seite, um jeden Gast bei seiner Ankunft zu begrüßen, und sie wagte es nicht, ihn im Stich zu lassen.
All ihre Kleidungsstücke waren hinter Türen oder in Schubladen untergebracht, die sich an drei Gängen entlangzogen. Sie besaß buchstäblich Hunderte von Outfits.
Nichts von alledem hatte sie selbst ausgesucht. Da er sie nach seinen Idealmaßen geschaffen hatte, hatte Victor alles bereits erworben, solange sie noch im Tank gelegen hatte.
Vielleicht hatte er manche dieser Dinge aber auch schon für die vorherige Erika gekauft. Dieser Gedanke gefiel ihr gar nicht.
Sie hoffte, eines Tages würde es ihr gestattet sein, selbst einkaufen zu gehen. Wenn Victor ihr das erlaubte, würde sie wissen, dass sie endlich seinen Anforderungen genügte und sich sein Vertrauen erworben hatte.
Einen flüchtigen Moment lang fragte sie sich, wie es wohl wäre, wenn sie sich nicht das Geringste daraus machen würde, was Victor – oder irgendjemand sonst – von ihr dachte. Wenn sie sie selbst wäre. Unabhängig.
Das waren gefährliche Gedanken. Sie musste sie unterdrücken.
An der Rückwand standen vielleicht zweihundert Paar Schuhe auf schrägen Regalen. Obwohl sie wusste, dass die Zeit drängte, schwankte sie zwischen Gucci und Kate Spade.
Hinter ihr raschelte und rumste etwas.
Sie drehte sich um und schaute durch den Mittelgang, aber sie sah nur geschlossene Kirschbaumtüren, hinter denen ein Teil ihrer Kleidung für andere Jahreszeiten hing, und den blassgelben Teppich. Sie lugte erst in den rechten und dann in den linken Gang, doch auch dort war nichts zu sehen.
Sie wandte sich ihrem Dilemma wieder zu und löste es schließlich, indem sie sich für die Kate Spades entschied. Sie trug sie in einer Hand, als sie in ihr Ankleidezimmer eilte.
Bei ihrem Eintreten glaubte sie, aus dem Augenwinkel gesehen zu
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