Das Gespinst des Bösen
ihr eine Hand auf die Schulter. «Das habe ich schon erledigt.»
Er deutete auf die siebte Kerze.
«Was haben Sie zu ihm gesagt, Huw?»
«Ich brauchte nicht viel zu sagen. Callaghan-Clarke war schon vor mir da.»
«Oh.»
«Gehen Sie einfach rein, hm?»
Huw, der leicht gereizt wirkte, ließ Merrily im kalten Licht des nördlichen Querschiffes stehen, in dem klein und einsam die paar Kerzen leuchteten.
52 Das Männliche in der Natur
Lol stand neben Jimmy Hayters champagnerfarbenem Jaguar, und ihm schoss eine Phantasie durch den Kopf: Er schließt den Jaguar kurz, fährt ihn weg, ruft Hayter auf dem Handy an und gibt ihm Anweisungen.
Und dann was?
Da er weder Hayters Handynummer kannte noch wusste, wie man ein Auto kurzschließt, hatte es keinen Sinn, weiter darüber nachzudenken. Er stand einfach da, an den Jaguar gelehnt, bestens zu sehen von dem Panoramafenster aus, das laut Merrily zu Sycharth Gwilyms Büro gehörte.
Der Himmel hatte sich wieder bezogen, und es fing an zu regnen. Lol bewegte sich nicht. Das Handy in seiner Tasche war angeschaltet. Bis er einen Anruf aus der Kathedrale bekam, musste er nirgendwohin.
Nach zwanzig Minuten, sein graues
Alien
-Sweatshirt war schon dunkel vom Regen, hatte er sich immer noch nicht bewegt.
Ihm war sehr kalt.
Nach fünfundzwanzig Minuten hörte es auf zu regnen, und Lord Stourport kam heraus.
Die Wände und die Decke der Kapelle des Bischofs John Stanbury, die auf das fünfzehnte Jahrhundert zurückging, waren mit dichtem, aus Stein gehauenem Blattwerk besetzt. Es war, als säße man unter einer Trauerweide.
«Ich gehe in den Ruhestand, Merrily», sagte der Bischof.
Es war nicht warm hier drin, aber er hatte seine Jacke ausgezogen. An der Schulter seines violetten Hemdes befand sich ein kleiner grüner Fleck.
«Das sagen Sie immer», sagte Merrily.
Sie saß neben ihm, vor sich die Jungfrau mit dem goldenen Heiligenschein und dem Kind.
Bernie Dunmore hatte im letzten Jahr abgenommen, und seine Tonsur war größer geworden.
«Es ist möglich, wissen Sie», sagte er, «Freimaurer und Priester zu sein, ohne dass das eine das andere beeinträchtigt.»
«Aber bestimmt schwierig, könnte ich mir vorstellen.»
«Schwierig, ja. Mein Vater und zwei Onkel waren Freimaurer. Als ich beitrat, war ich kaum mit dem Theologiestudium fertig. Eine Zeitlang schien es fast kompatibel zu sein. Der Loge gehörten zwei Kanoniker und der Dekan an. Mehrere Bischöfe waren damals noch aktive Freimaurer. Jetzt natürlich nicht mehr.»
«Sie hätten austreten können.»
«Ja, natürlich
kann
man austreten. Aber sie betrachten es trotzdem so, dass die Gelübde nicht mehr widerrufen werden können, wenn sie einmal abgelegt wurden.»
«Sie sind aber nie ausgetreten.»
«War seit mehr als zwanzig Jahren bei keinem Treffen, und es schien mir immer so, als würde ein Austritt mehr öffentlichen Wirbel verursachen, als die Sache wert war. Ich habe die Auseinandersetzung nie gesucht, wie Sie wissen.»
«Warum sind Sie denn irgendwann nicht mehr hingegangen?»
«Sie … sie sagen einem, es könne nicht inkompatibel sein, weil es sich um keine Religion handelt. Und dann stellt man fest, dass man sich fragt, ob es womöglich eine
Anti
-Religion ist.»
«Ein Anti-Glaube in jedem Fall.» Merrily hielt den Blick auf die Jungfrau gerichtet. «Gnostisch. Es ist die Suche nach der Ursprungsgottheit in einem selbst.»
«Ja. Gewissermaßen.»
«Und?
Ist
es eine Anti-Religion?»
«Ich kann mich immer noch nicht entscheiden. Es gibt in der Kathedrale ja sogar Freimaurer-Gottesdienste. Ich weiß nur, dass ich irgendwann um einen Rat gebetet habe. Die Antwort war: Tritt aus.»
«Aber Sie haben es nicht getan.»
«Es war kein
Problem
, Merrily. Nicht bis …»
«Letzte Woche?»
Dunmore schwieg bestimmt eine halbe Minute. Es war dunkler geworden in der Kapelle. Merrily spürte, dass es draußen regnete.
«Man ist an Sie herangetreten», sagte sie.
«So förmlich war es nicht. Mir wurde nahegelegt, dass gutmeinende, angesehene Männer Schaden nehmen könnten durch … Ihre Nachforschungen.»
«Gutmeinende, angesehene Freimaurer.»
«Das Wort ist nie gefallen.»
«Aber derjenige, der Ihnen das nahegelegt hat …»
«War jemand, der mir schon bei vielen Gelegenheiten gute Ratschläge gegeben hat, das darf man nicht vergessen.»
«Erzdiakon Neale.»
«Man hatte den Eindruck, dass Sie sich zu weit auf Gebiete vorwagen, die im Wesentlichen nichts mit dem zu tun haben, was Sie tun
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