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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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konnte.
    Es hatte keinen Grund gegeben, nach dem festlichen Abend in Senlis zu bleiben. Je mehr Zeit verging, desto mehr verwunderte Blicke erntete er, vor allem von den vielen Priestern, die sich um den Bischof tummelten, nach dessen Rückkehr aus Reims sogar von diesem selbst, obgleich Erpuinus an kaum etwas anderem Interesse fand als an Essen und Gold. Balduin hatte sich für die Blicke blind gestellt, hatte auch nicht daran gedacht, sich Judith zu erklären. Nie wieder hatte er sie allein getroffen wie damals im Stall oder später nach dem Fest. Immer wurde sie von ihren Damen begleitet, behandelte ihn mal höflich distanziert, mal spöttisch, aber nie so, als ließe sich irgendeine besondere Nähe zwischen ihnen vermuten. Vielleicht war jene auch längst geschwunden; vielleicht würde es sie nie wieder geben. Doch wenn er daran dachte, wie ihr entblößender Blick ihm sein größtes Geheimnis entlockt hatte, und daran, wie diese Augen feucht wurden, als er – ob nun unbedacht oder nicht – in ihrer Seele wühlte, so überkam ihn die Gier, es noch einmal zu erleben. Anfangs fürchtete er, dieses fast schmerzhafte Begehren wäre so offenkundig, dass alle Welt davon erführe. Doch er konnte ihr beherrscht begegnen, solange sie es auch tat – wofür er ihr dankbar war und was ihn zugleich unerträglich ungeduldig stimmte.
    Johannas starrer Blick riss ihn aus den Gedanken. »Tu das nicht!«, es klang wie ein eisiger Hauch. »Tu das nicht!«
    »Was meinst du?«
    »Ich … ich habe mich kundig gemacht. Ich weiß, wer sie ist. Sie ist eine zweifache Witwe. Eine gebrochene Frau.«
    Sie klang, als wäre dies das schlimmste Verbrechen, dessen sich ein Mensch schuldig machen könnte.
    »Ja«, sagte Balduin schlicht, »ja, das ist sie wohl.«
    Er straffte den Rücken und drehte sich um.
    »Du gehst jetzt nicht!«, rief Johanna ihm erbost hinterher. »Wir müssen darüber reden!«
    Er drehte sich nicht einmal zu ihr um. »Ich muss überhaupt nichts!«, murrte er trotzig.
    »Lass dich nicht von ihr blenden! Der Pfau hat bei all seiner Schönheit eine sehr hässliche Stimme, weil er immer dann kreischt, wenn er seine unschönen Füße sieht.«
    »Du irrst, wenn du denkst, ich würde ihrer Schönheit erliegen!«
    »Adam, Samson, David und Salomon – sie wurden alle von einer Frau ins Verderben gelockt.«
    »Soweit ich weiß, bist du auch eine Frau, Johanna, und hast mir immer geraten, was ich tun soll. War das auch verderblich für mich?«
    »Balduin!«
    Er verdrehte ungeduldig die Augen. »Du weißt nichts! Du weißt weder etwas über Judith noch über mich!«
    »Balduin!«
    Diesmal klang es nicht scharf wie ein Peitschenklang, sondern flehentlich, fast verzweifelt. Es fiel ihm schwer, sich nicht zu ihr umzudrehen.
    »Lasst mich in Ruhe!«, murmelte er und gewahrte kaum, dass er sich nicht nur gegen sie richtete, sondern auch gegen den Rest der Welt. »Ach, lasst mich einfach alle in Ruhe!«
     
    Obwohl er Johannas beunruhigten Blicken entronnen war, blieb Balduin aufgewühlt. Von der Welt in Frieden gelassen zu werden, hatte er sich gewünscht, doch kaum war er allein, fühlte er sich unbehaglicher als in ihrer Gesellschaft. Die Frage, die sie ihm gestellt hatte, kreiste in seinem Kopf: Was tue ich nur? Was will ich denn?
    Er wusste keine Antwort, ziellos war sein Gang. Zuerst führte er in den Saal, der seit Ludwigs Abreise meist leer stand, dann in den Hof, wo ihn sämtliches Treiben lustloser und langsamer deuchte als sonst. Im Stall angelangt – in der kleinen Holzhütte der Knechte hatte er sich in den letzten Tagen auf einem Strohsack sein Lager bereitet –, trat er zu seinem Pferd und strich ihm über die Stirne. Es blähte unruhig die Nüstern, gewiss gierte es nach einem Ausritt, denn für gewöhnlich stand es nicht so lange still. Eigentlich hatte er gehofft, die Unruhe des Tieres würde ihn anstecken, ihn daran gemahnen, wer er war und dass er nicht dazu taugte, tagelang irgendwo seine Zeit zu vergeuden. Doch nun, da er hier war, dachte er nur an seine einstige Begegnung mit Judith.
    Was tue ich nur?, ging es ihm wieder durch den Kopf. Was will ich denn? – und diesmal wusste er, dass er die Frage nicht allein würde beantworten können. Er musste … sie sehen.
    Fast erleichtert, endlich ein Ziel vor Augen zu haben, eilte er zurück in den Palast und verlangsamte die entschlossenen Schritte erst, als er zu ihrem Gemach kam. Seit jenem Tag, als er mit ihr über Ludwig gesprochen hatte, war er nicht wieder vor

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