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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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dass Judith vor der Eheschließung zur Königin gekrönt und mit jenem Salböl gesalbt wurde, das –so die Legende, die Hinkmar verbreitete – bei der Taufe des ersten Merowingerkönigs Chlodwig eine Taube vom Himmel herab in die Kirche von Reims gebracht hatte. Judith wusste noch, dass Hinkmar von Reims damals die Krönungspredigt gehalten und sie darin über ihre Pflichten als Frau und Herrscherin belehrt hatte. Sie wusste nicht mehr genau, worin diese im Einzelnen bestanden, nur dass sie mit Verzicht, Demut und Würde zu tun hatten. Damals hatte sie sich geschworen, all das gerne aufbringen zuwollen, wenn es denn nur ein Leben in einem fremden Land mit einem fremden Gatten erträglicher machte.
    Ethelwulf schien ihr Maß an Gehorsam und Pflichterfüllung gereicht zu haben. Er hatte selten mit ihr gesprochen, aber wenn seine Augen auf ihr ruhten, waren sie immer ehrfurchtsvoll gewesen. Das klagende, weinende, unbeholfene Mädchen der Hochzeitsnacht befremdete ihn – aber die erstarrte, bleiche Frau, zu der sie danach wurde, schien ihm eine anständige Königin zu sein. Ob er stolz auf sie war, wusste sie nicht, umso mehr aber, dass er stolz war, sie geheiratet zu haben und somit all seinen Beamten, seinen Edlen und seinem gesamten Volke vorführen zu können, dass er keine Geringere als eine Königin aus dem fränkischen Herrschaftshaus heimführte.
    »Woran denkst du?«
    Balduins Stimme ließ sie zusammenzucken. Die aufreibenden letzten Tage, das schwierige Gespräch mit Hinkmar von Laon, schließlich seine Einwilligung, dass er zwar nicht selbst den Segen sprechen, sich jedoch nicht in den Weg stellen würde, wenn es ein anderer Priester täte, wozu sich schließlich, nach nicht minder nervenaufreibendem Ringen, Bruder Ambrosius entschließen konnte – nun, das alles hatte sie so ausgelaugt, dass sie kaum bemerkt hatte, wie Ambrosius diesen Segen eben gesprochen hatte.
    So knapp und bündig wie möglich hatten sie einander erklärt, sich fortan Mann und Frau zu sein, und Ambrosius hatte den Bund bestätigt, mehr hauchend denn mit kräftiger Stimme, als hätte alles, was er tat, nur vorläufigen Charakter und könnte noch zurückgenommen werden.
    »Verzeih …«, murmelte Judith und wusste nicht, ob es sie reuen sollte, dass sie nicht mehr Inbrunst gezeigt hatte, oder ob sie einfach nur froh war, dass es vorbei war.
    »Ich … ich dachte an meine erste Eheschließung«, erklärte sie, als Balduin sie noch immer fragend ansah. Er machte nicht den Eindruck, als befinde er sich in einem ähnlich lähmenden Dämmerschlaf wie sie. Seine Wangen waren gerötet, seine Händezuckten aufgeregt. Doch weder Glück noch Würde eines frischgebackenen Ehemannes standen in seinem Gesicht, nur Scheu vor dem, was ihn da überrollt hatte.
    »Es tut mir leid«, murmelte er, »es tut mir leid, dass wir uns in dieser Stunde wie flüchtende Pferdediebe fühlen müssen.«
    »Glaub mir, damals in Verberie war alles prächtiger und schöner und … erlaubter. Und es war dennoch nicht leicht für mich.«
    Bruder Ambrosius räusperte sich zum Zeichen, dass sie sich noch in einem Gotteshaus befanden, dessen Ruhe nicht durch unnützes Geschwätz gestört werden durfte. Zugleich schien er nicht zu wissen, was er ihnen am Ende der Zeremonie raten konnte: ob sie sich schweigend umdrehen und einfach hinausgehen oder womöglich im Gebet um die Gnade Gottes flehen sollten. Judith machte weder Anstalten für das eine noch für das andere, und die zwei Novizen, die als Zeugen fungiert hatten – Ambrosius musste sie erst mühsam dazu überreden, Hinkmar hatte es ihnen nicht verboten, aber ihnen ebenso wenig zugeredet –, waren keine Hilfe, sondern kicherten nur verlegen.
    Judith sah, wie Ambrosius ihnen eine leichte Ohrfeige versetzte, so wie es auch jedem Zeugen bei Gericht widerfuhr, damit er sich später an diesen Augenblick erinnern konnte. Dann fühlte sie, wie Balduin sanft den Arm um sie legte und sie hinausgeleitete. Sie folgte ihm willig. In der frischen Luft fiel es ihr leichter zu denken, sich vorzusagen, dass das, was geschehen war, wirklich war und kein Traum, dass sie es dereinst mühelos aus ihrem Gedächtnis würde hervorkramen können, nicht nur schemenhaft wie die Eheschließung in Verberie.
    Wenn sie sich den Moment vor Augen führen wollte, da sie von Ethelwulf den Ring erhielt, stieß sie nur auf Nebel.
    »Alfred hat sich übergeben«, sagte sie plötzlich.
    »Wie?«
    »Alfred … Ethelwulfs kleiner Sohn. Er war kaum sechs

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