Das Geständnis der Amme
müssten, wenn sie nun stürben. Er erschauderte, während Judith keinerlei Regung zeigte.
»So, so«, murmelte sie. »Er will also gleich zum äußersten Mittel greifen …«
»Judith, meine Königin, ich bitte dich«, unterbrach Hinkmar sie flehentlich. »Wenn du … wenn du sofort zu deinem Vater zurückkehrst und ihn um Versöhnung bittest, dann wird er sie dir gewähren. Vielleicht könnte auch Graf Balduin … Balduin …«
»Nein!«, entfuhr es Judith scharf. »Nein, ich werde nicht zurückkehren! Ich werde Graf Balduin zu meinem Mann nehmen und nicht irgendeinen der Adeligen, die mein Vater für Bündniszwecke vorgesehen hat. Bischof Hinkmar, Ihr wisst so gut wie ich, dass sich nach den Gesetzen unseres Landes eine Frau ab dem sechzehnten Lebensjahr gegen eine Ehe wehren kann. Warum sollte mir das nicht zustehen? Weil ich eine Königstochter bin?«
»Königin Judith, du weißt nicht …«
»Doch, ich weiß, worauf ich mich einlasse!«, begehrte sie auf.»Und sagt mir nicht, ich erhöbe mich gegen den Willen Gottes! Ist es nicht sonderbar? Als ich seinerzeit nach Ethelwulfs Tod seinen Sohn Ethelbald heiraten musste, hat sich niemand empört, obgleich das gegen jegliches kirchliches Recht war! Vor allem Euer Vetter, der Bischof von Reims, hat diese Ehe geduldet –weil solcherart das Königreich von Wessex als Bündnispartner gehalten werden sollte. Und jetzt, da ich nichts weiter getan habe, als Senlis aus freien Stücken zu verlassen, soll ich exkommuniziert werden? Ich akzeptiere das nicht!«
»Königin Judith«, setzte Hinkmar an und klang beinahe flehentlich. »Du weißt, was die Voraussetzung für eine echte Ehe ist: die Verlobung, die Dotierung und die Trauung. Und du weißt, dass bei alldem die Zustimmung der Eltern unverzichtbar ist. Die Väter der Brautleute müssen den Konsens erklären!«
»Ja, ja«, höhnte Judith, »und was die Brautleute selbst wollen, ist nichtig. Mir ist bekannt, dass Euer Vetter Hinkmar von Reims derlei Vorstellungen von der christlichen Ehe hat. Er hat seinerzeit, als ich Ethelwulf heiratete, den Ritus der Einsegnung selbst entworfen. Aber mir ist auch bekannt, dass Papst Nikolaus diesbezüglich etwas anderer Meinung ist. Er stellt den Konsens der Eheleute in den Vordergrund. Dieser allein sei konstituierend – und wenn er fehlt, ist jede eheliche Vereinigung nichtig.«
Hinkmar von Laon seufzte jämmerlich.
»Wisst ihr beiden, in welche Lage ihr mich bringt?«, fragte er ein zweites Mal, diesmal nicht mürrisch, sondern hörbar verzweifelt.
»Ihr habt bei Eurem bischöflichen Vetter Schulden«, stellte Judith ungerührt fest und störte sich nicht daran, dass Hinkmars Gesicht rot anlief. »Und deswegen könnt Ihr Euch nicht offen auf unsere Seite stellen. Habt keine Angst! Wir werden nicht in Laon bleiben, sondern das Reich meines Vaters verlassen. Mein Vetter König Lothar hat mir Unterschlupf angeboten. Aber zuvor … zuvor müsst Ihr uns helfen! Wir werden vor Zeugen das Ehegelübde ablegen, und ein Priester soll uns segnen.«
Ihr bestimmter Tonfall wankte kein einziges Mal. Bischof Hinkmarschien davon eingeschüchtert – und Balduin konnte es ihm nachfühlen. Es war ihm nicht unangenehm, dass Judith das Gespräch an sich gerissen hatte, und es gefiel ihm, wie forsch sie Befehle an den Bischof erteilte. Doch zugleich spürte er Unbehagen, weil sie über seinen Kopf hinweg Entscheidungen traf, viel schneller, als dass er darüber nachdenken konnte. Er wollte ihre Pläne nicht anzweifeln, sein Handeln nicht bereuen. Doch nicht nur, weil er voll und ganz davon überzeugt war, sondern weil es ihn erbärmlich gedeucht hätte, vor der entschlossenen Judith Schwäche zu zeigen.
»Ihr werdet mich noch um mein Amt bringen«, stieß Hinkmar von Laon hilflos aus.
»Seid unbesorgt«, gab Judith zurück. »Es war meine Entscheidung, Senlis zu verlassen, und es ist meine, Balduin zu heiraten. Werdet Ihr uns nun helfen?«
Während der schlichten, kurzen Eheschließung dachte Judith an ihre erste Hochzeit mit Ethelwulf von Wessex, die mit großer Pracht in Verberie an der Oise gefeiert worden war. Ihr Vater, der König, hatte alles aufgeboten, um den Verbündeten, Freund und nunmehrigen Schwiegersohn – der älter war als er selbst – zu beeindrucken: mit edlen Gewändern, köstlichen Speisen, vor allem aber mit einem ausgeklügelten Zeremoniell, das bei Ethelwulf, eine nüchterne Hofhaltung gewohnt, am meisten Bewunderung erweckt hatte.
Jenes Zeremoniell sah vor,
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