Das Geständnis der Amme
krümmte sie sich. »Vielleicht …«, setzte er an.
Sie schluckte schwer, richtete sich aber entschlossen wieder auf. »Wenn die Reise so beschwerlich ist, wie alle sagen, sollten wir nun, da es nicht schneit, nicht länger zögern aufzubrechen.«
Balduin schickte einige der Knechte, die Judith seit Trier begleitet hatten, wieder zurück an den Hof des Königs. Nur drei blieben bei ihnen, und anstelle der anderen schloss sich eine Handvoll wortkarger Männer, offenbar Pilger, ihrem Zug an, die bis dahin gezaudert hatten, die Alpenüberquerung zu wagen, sich nun aber von dem Aufbruch der anderen mitreißen ließen. Judith verweigerte trotz Wunibalds Angebot strikt die Sänfte, auf der manche der Edlen über die Alpen getragen wurden. Sie wollte selbst reiten. Gleiches entschieden Madalgis, Joveta und Johanna, undBalduin kaufte schließlich noch einen Gaul für den Mönch – zum Dank, dass er die
Marruci
für sie organisiert hatte.
Balduin wusste zunächst nicht, was er von Wunibalds Wahl zu halten hatte. Schwer ließ sich das Alter der
Marruci
erahnen, und noch weniger, wie viel Erfahrung sie mit der herausfordernden Reise hatten. Sie stammten aus nahen Bergdörfern und waren wohl arme Hirten – zumindest trugen sie deren braune Tracht, desgleichen Pelzmützen, Pelzhandschuhe und Schuhe mit eisernen Nägeln, um Halt zu gewinnen. Sie hatten lange Stangen bei sich, um später im Tiefschnee nach dem Weg zu stochern. Unmöglich war es, ihnen Worte zu entlocken: Fragte man sie, wie groß die Gefahr sei, wie lange die überquerung dauern werde, mit wie viel Schneefall zu rechnen sei, so verzogen sie nur mürrisch die Lippen, zuckten die Schultern und spuckten verächtlich zu Boden, als müsse ein ausgemachter Dummkopf sein, wer so etwas wissen wollte. Als Balduin sie weiter bedrängte, wissen wollte, ob sie ihnen insgeheim von der Reise abrieten, spuckten sie wieder, aber einer setzte immerhin einen knurrenden Satz hinzu: »Kann auch im Frühling oder Sommer schiefgehen.«
Wenigstens schienen sie ausgesprochen kräftig. Anders als der Rest der Gruppe hatten sie keine Pferde, sondern gingen zu Fuß. Einen Teil des Gepäcks – sie mussten ausreichend zu trinken, zu essen, warme Kleidung und Matten, Zelte und Werkzeuge mitschleppen – schulterten sie anstandslos, den anderen trugen Maultiere, die sie hinter sich herzogen.
Selbst als sie die Ebene verließen und es immer weiter hinaufging, sah Balduin sie weder schwitzen noch klagen. Mochten ihre Beine kurz sein, die Schultern waren breit genug, die Last zu stemmen, und die Hände so schwielig, dass sie offenbar nicht fühlten, wenn Hanfstricke schmerzend hineinschnitten. Und sie schienen mühelos den Weg zu finden, auch wenn es so gut wie gar keine Wegweiser gab – nur hin und wieder vier Steine, die zu einer kleinen Pyramide aufgetürmt worden waren und die eine barmherzige Seele hinterlassen hatte, um nachfolgende Reisendevor einem besonders unwegsamen Stück zu warnen. Mit der Zeit befand Balduin, dass es auch sein Gutes hatte, dass die
Marruci
nicht redeten – es reichte, wenn der Rest der Gruppe nicht aufhörte, jammervolle Klagen anzustimmen, vor allem abends, wenn sie jene Rasthäuser erreichten, die schon in römischer Zeit im Abstand von Tagesreisen angelegt worden waren. Nun gut, Judith klagte nicht, ebenso wenig Johanna oder Madalgis, aber Joveta konnte sich nicht verkneifen, stets aufs Neue das Erbarmen Gottes anzurufen, und Wunibald stand ihr um nichts nach. Die offenbar richtige Wahl der
Marruci
rechnete ihm Balduin hoch an, sein weibisches Gejammer jedoch stimmte ihn mürrisch. Freilich – und dies war der Grund, dass er seinen ärger stets aufs Neue bändigte – war er gerne bereit, das zu ertragen, wenn ihnen ansonsten nichts Schlimmeres zustieß, und tatsächlich gab es nicht viel, worüber sich klagen ließ.
Nicht nur, dass Judiths Husten sich zu bessern schien. Zudem kamen sie in den ersten drei Tagen gut voran, auch dann noch, als der Weg fortwährend nach oben führte und die Landschaft immer karger und schroffer wurde.
Der Himmel schien ihnen gnädig gestimmt, zeigte zwar keine Farbe, aber klarte immer mehr auf. Die Berge, die nun sichtbar wurden, waren von nassem Grau, doch die Feindseligkeit, die sie ausstrahlten, schien uralt und nicht den kleinen Menschenkindern zu gelten, die über Geröll und zwischen Abhängen dahinstolperten. Vielmehr entlud sie sich gegen den Himmel, manchmal in Form von runden, drohend geballten Fäusten,
Weitere Kostenlose Bücher