Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
Vom Netzwerk:
stürzen. Balduins Blick folgte seiner Gestalt – um jenen zu sehen, den er am wenigsten hier erwartet hätte.
    »Vater«, entfuhr es ihm, und trotz der Schmerzen in seiner Kehle war ihm jene Bezeichnung noch nie so selbstverständlich über die Lippen gekommen. »Vater …«
    Er hatte nicht gewusst, dass Audacer kämpfen konnte. Gewiss, seine Faustschläge waren gefürchtet, doch dass er eine ähnlich militärische Ausbildung durchlaufen haben sollte wie sein Sohn, war Balduin fremd. Freilich erkannte er alsbald, dass dies auch gar nicht der Fall war. Audacer nutzte das Schwert vielmehr ebenso wie die Fäuste – unberechenbar, ohne Taktik, jedoch mit gewaltiger Kraft und Wut.
    Eben noch hatte Balduin gedacht, dass er nie wieder frei atmen würde, dass der Rauch seine Kehle ebenso zersetzt hätte, wie die grauenhaften Bilder es mit seinen Augen getan hatten, derer er hatte Zeuge werden müssen. Doch das Gefühl, das ihnbei Audacers Anblick durchflutete, war warm und heilend. Nicht nur auf die eben geschlagenen Wunden legte es sich wohltuend, sondern auf all das Unbehagen, das ihn Audacers Anblick stets gekostet hatte. Früh hatte er gelernt, dem Vater aus dem Weg zu gehen, so wie Audacer selbst den Sohn mied, den er nicht wollte. Bis jetzt zumindest – denn nun war er zu seiner Rettung gekommen, hatte ihn als Einziger nicht aufgegeben, war bereit, unter Einsatz des eigenen Lebens für ihn zu kämpfen.
    Balduin hatte nicht geglaubt, je wieder ein Schwert in Händen zu halten, schon gar nicht, es gegen jene Menschen zu richten, die ihm in den letzten Tagen vertraut geworden waren. Doch nun griff er – jenen Instinkten folgend, die Arbogast ihm eingebläut hatte – an den Gürtel, um seine
Spata
aus der Scheide zu ziehen.
    Er griff ins Leere, und erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass man ihm die Kampfausrüstung genommen hatte. Doch an seinem Willen, dem Vater zu Hilfe zu eilen, änderte das nichts. Unbewaffnet und ohne Schild stürzte er sich in das Getümmel.
    »Vater!«, rief er wieder. »Vater!«
    Diesmal war seine Stimme kräftig genug, dass Audacer ihn hörte. Eben hatte er einem der Normannen das Schwert in die Brust gerammt, sodass er Zeit hatte, sich umzudrehen, Balduin anzusehen. Balduin trat noch näher an ihn heran, erwartete, dass Audacers Miene sich aufhellen würde, vor Erleichterung und Dankbarkeit, weil der Sohn wie erhofft noch lebte. Doch Audacer blickte ihn an wie einen Fremden. Nichts Freudiges nahm von ihm Besitz – nur Verwirrung.
    Unwillkürlich griff Balduin sich ins Gesicht. Haben mich die Flammen entstellt? Trage ich Narben? Erkennt er mich nicht?
    Doch Audacer erkannte ihn. Er formte mit seinen Lippen sogar seinen Namen – doch die Verwirrung erlosch nicht, sondern wurde nun vielmehr von jenem altbekannten mürrischen Ausdruck begleitet, als zürne Audacer ihm dafür, dass Balduin bei voller Gesundheit vor ihm stand.
    Er ist verärgert, weil ich unbewaffnet bin und mich in Gefahr bringe, versuchte Balduin sich einzureden.
    Schon wollte er dem unausgesprochenen Befehl, sich wieder zurückzuziehen, Folge leisten, als er gewahrte, dass nicht ihm, sondern Audacer selbst höchste Gefahr drohte.
    Aus dem Augenwinkel nahm er einen Schatten und blonde Locken wahr. Während die Frauen und Kinder zuerst unter den Waffen der Angreifer gefallen waren, hatte sich der engelhafte Knabe Eyvindr irgendwo in Sicherheit bringen können. Nun kehrte er mit Pfeil und Bogen bewaffnet zurück, und ebenjener Pfeil war auf Audacer gerichtet, der von Balduins Anblick abgelenkt war.
    »Achtung!«, schrie Balduin, doch es war zu spät. Seine Stimme verschmolz mit dem surrenden Laut, als der Pfeil durch die Luft schoss und Audacers Kehle traf.
    Audacers Augen verdrehten sich ins Weiße, Blut sprudelte aus der Wunde, dann sackte er zu Boden.
     
    Balduin stürzte auf seinen Vater zu, kniete sich zu ihm und versuchte, den Blutfluss zu stoppen, indem er beide Hände auf die Wunde presste. Audacer machte ein gurgelndes Geräusch, noch lebte er. Balduin war so erleichtert über das Lebenszeichen, dass er nicht verwundert war, warum er es überhaupt hören konnte. Erst nach einer Weile bemerkte er, dass der Schlachtenlärm erstarb – was nur bedeuten konnte, dass die Verteidigung der Normannen endgültig zusammengebrochen und die Truppe, die zu seiner Rettung gekommen war, der wenigen überlebenden Herr geworden war.
    So hörte Balduin auch Audacers Stimme, als jener letzte Worte zu ihm sprach. »Du lebst?«, fragte er.

Weitere Kostenlose Bücher