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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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abgenommen hatte, als er seine Wunden versorgt hatte.
    Erleichtert stand Balduin auf, um die Kette zu suchen. In der Hütte war es fast dunkel; in der Feuerstelle glomm nur mehr die Asche. Doch er kannte das Innere der kleinen Behausung mittlerweile gut genug, um sich auch so zurechtzufinden. Mühelos fand er die Bettstatt, kniete sich dorthin und begann den Boden abzutasten. Lang griff er ins Leere, doch schließlich fühlte er das Amulett und das Lederband, an dem es befestigt war. Er seufzte laut. Gleichwohl er Johannas Wunsch gefolgt war und das Amulettimmer getragen hatte, war es ihm noch nie so wichtig gewesen, es bei sich zu haben wie heute. Nun war es ihm ein Zeichen dafür, dass er – mochte er auch in der Fremde sein – in der fernen Heimat Menschen wusste, die zu ihm gehörten.
    Man hatte ihm die Waffen nicht zurückgegeben, würde es vielleicht nie tun – außer zu dem Zwecke, dass er die Kinder, die eben noch mit ihm lachten, dereinst in deren Gebrauch einführte. Doch was man ihm nicht nehmen konnte, war das Leben, das er lange vor diesem Moment geführt hatte, und die Erinnerungen an eine Frau, die ihn liebte wie einen Sohn.
    Balduin wollte das Amulett umlegen – und fuhr zusammen. Er hatte ein Geräusch vernommen, das ebenso schlagartig abriss, wie es erklungen war. Das Klirren eines Schwerts, das Stöhnen eines Menschen. Dann nichts mehr. Er vergaß das Amulett, lauschte in die Stille. Zunächst war da nichts anderes als Eyvindrs klangvolle Stimme und das Gekicher der Kinder – doch plötzlich ertönte Pferdegetrappel.
    Unwillkürlich schlug er die Arme über den Kopf, als müsste er sich schützen. Das Gekicher der Kinder erlosch, Eyvindrs helle Stimme, die er eben noch vernommen hatte, auch.
    Dann setzte Gebrüll ein, panisch hohes von Frauen, finsteres von den Kriegern. Das Getrappel stammte nicht länger nur von Pferden, sondern von Schritten, die eilig auseinanderstoben. Schließlich ein kurzer, fast höhnischer Moment der Stille, ehe es über sie hereinbrach – das Surren von Pfeilen und das Knistern von Feuer, als ein brennender Pfeil im Dach steckenblieb und es entzündete.
    Der Krieg war heute laut.

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VII. Kapitel
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    Balduin erinnerte sich daran, dass Johanna das Feuer scheute –und dass er das nie verstanden hatte. Sobald sie dem Kamin oder dem Herd zu nahe kam, lag ein panischer Ausdruck auf ihren Zügen, und sie trat hektisch zurück. Lieber fror sie, anstatt die Feindschaft mit dem roten, gefräßigen, zuckenden Meer aus Flammen aufzugeben.
    Wiewohl er vermutete, dass jene Angst von der Stunde stammte, da Normannen ihr Dorf niedergebrannt hatten, hatte Balduin diese Furcht, die bei der ansonsten beherrschten Frau beinahe kindlich wirkte, oft belacht. Jetzt überkam ihn die gleiche Angst.
    Zwar leckte das Feuer noch nicht an ihm, aber als es über ihm zu prasseln begann, sich Hitze und Rauch im Inneren der kleinen Hütte ausbreiteten, schlug er unwillkürlich die Hände über dem Kopf zusammen und duckte sich, ohne zu bedenken, dass er somit nicht vor der Gefahr beschützt, sondern ihr hilflos ausgeliefert war. Der Rauch verätzte seine Kehle; er hörte sich wie von weither husten, und es war dieses Geräusch, das ihn wieder aufspringen ließ. Das Knistern über ihm verstärkte sich, einige verkohlte äste lösten sich aus dem Dach und fielen wie ein schwarzer, stinkender Regen auf ihn herab – aber noch zögerte er, sein Versteck zu verlassen, mochte es alsbald auch zum todbringenden Gefängnis werden. Erst musste er sehen, wer den Krieg über das friedliche Dorf gebracht hatte, sich erst ein Bild über die Lage machen, sich …
    »Nein!«, brüllte er, als er durch die Ritzen der Hütte spähte; sein Schrei klang aus seiner ausgedörrten Kehle wie das Röhren eines Hirsches. »Nein!«
    Reiter waren da, sehr viele Reiter. Wenn er sie genauer betrachtet hätte, wären sie ihm vertraut gewesen, doch sein Blick ging nicht hoch, um in die Gesichter der Angreifer zu starren, er blieb bei den Menschen hängen, die im Hof durcheinanderliefen – die normannischen Krieger, die sich zu wehren suchten, aber meist von Lanzen durchbohrt wurden, ehe sie zu ihren Waffen greifen konnten, und die Frauen, die ihre Kinder mit dem eigenen Leib schützten – jene Kinder, mit denen er eben noch gelacht hatte. Er sah eines von ihnen blutüberströmt zusammenbrechen und beobachtete den Leib eines anderen in einem nahezu grotesken Tanz. Anfangs begriff er nicht, was die Glieder derart sonderbar

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