Das Geständnis der Amme
Haltung. So steif hockte Judith, dass nicht einmal die Falten ihres Gewandes erzitterten: nicht die elfenbeinfarbene Untertunika mit den weiten ärmeln, nicht das rote überkleid, das an der hochgeschnürten Taille von einem edelsteinverzierten Gürtel gehalten wurde, nicht der großzügige Umhang aus dunkelroter Seide oder der Schleier, der auf ihrem kastanienbraunen Haar befestigt war. Er wurde von einem Goldband gehalten, auf dem Rubine und Saphire angebracht waren – bei weitem nicht der einzige Schmuck: Gleich mehrere Ketten trug Judith um den Hals. Einige lagen eng an, andere fielen bis zum Gürtel.
Kaum eine von Judiths Damen musterte die Kostbarkeiten noch mit jenem Neid, der manche befiel, wenn sie ihr zum ersten Mal begegneten. Dann starrten sie noch bewundernd auf diesen Prunk, desgleichen auf ihre schneeweiße, glatte Haut, ihr glänzendes, feines Haar, ihre tiefblauen Augen und ihre ebenmäßigen Züge. Doch nie währten Bewunderung und Eifersucht lange. Denn Judith schenkte dem eigenen Erscheinungsbild keinerlei Beachtung, sondern schien es lediglich über sich ergehen zu lassen, mit erstarrter, hochmütiger Miene, mit dem verächtlichen Hochziehen ihrer Brauen – das Einzige, was sich dann und wann in ihrer Miene regte – und mit einem unendlich langsamen Gang, der aller Welt bewies, dass es nichts gab, was sie zur Eile und Anteilnahme bewog. Und ob der Gleichgültigkeit seiner Besitzerin schien der kostbare Schmuck sein Funkeln zu verlieren, das schöne Gesicht seine Lebendigkeit, die blauen Augen ihren Glanz. Wer Judith länger kannte, teilte mit ihrem übrigen Gefolge alsbald ein Gefühl: das der Scheu vor ihrem Blick.
Die Damen mieden ihn auch heute: Manche glotzten auf die Fresken und Mosaiken an den Wänden des Saales, von denen die einen bewaffnete Männer zeigten, die Hirsche und Rehe verfolgten, wieder andere Landarbeiter auf dem Felde und eines den heiligen Marcellus, den neunten Bischof von Paris, der einst ein Monstrum, das im Flusstal der Bièvere lauerte und die Stadt in Angst und Schrecken versetzte, erschlagen hatte.
Andere starrten durch die Fenster nach draußen – entweder durchweg verglaste Rundbogenfenster, die eine klare Sicht boten, oder aber solche, die aus vielerlei farbigen Glasstücken gefertigt und in Blei gefasst waren und die das Bild dahinter nicht nur in Gold, Grün, Rot und Blau tauchten, sondern es zuvörderst verwischten. Einige wenige der Frauen schließlich widmeten sich Handarbeiten oder flochten Kränze aus Blumen.
Lediglich eine Einzige fiel durch heftige und laute Bewegungen auf, als sie aufgeregt in den Saal gestürzt kam. Bruder Godhards ausufernde Rede brach ab, und auch Judith blickte hoch. Das Tischchen aus Elfenbein, vor dem sie saß, erzitterte kaum merklich, obwohl ihre Hände an genau der gleichen Stelle verblieben.
»Welche Nachricht bringst du uns, liebe Madalgis?«, fragte sie ruhig.
»Besuch!«, stieß Madalgis aus. »Es ist Besuch gekommen!«
Dann nannte sie einen Namen, und ob seiner Erwähnung geschah etwas überaus Seltenes: Judiths Mundwinkel zogen sich zu einem feinen Lächeln nach oben.
Judith lächelte noch, als der Gast mitsamt seinem Gefolge den Saal betrat und ihr mit beschwingteren Schritten, als es ihm ansonsten gegeben war, entgegenkam. Mehr Zeichen, dass sie sich ehrlich freute, gab es jedoch nicht. Indessen die Damen aufsprangen und in einer Verbeugung versanken, blieb sie in ihrer bisherigen Position sitzen und wandte den Kopf nur einen Fingerbreit zur Seite, um ihm entgegenzublicken.
»Werter Ludwig«, sagte sie leise. »Dein Besuch ist wie immer eine Ehre … und Freude.«
Ludwig lachte, als würde er ihre Worte nicht ernst nehmen, und blieb in ausreichendem Abstand stehen.
»S-s-s-s-siehst du, Balduin?«, rief er seinem Begleiter zu, der dicht hinter ihm stehen geblieben war. »So ist sie, meine Schwester. Selbst wenn ihr He-He-Herz vor Freude springen mag, spricht sie mit einer Sti-Sti-Stimme, die aus der Tiefe des G-G-G-Grabes geliehen scheint.«
Als Judith ihn musterte, zog sie, wie zuvor, ein klein wenig die Brauen hoch. »Wenigstens stottere ich nicht wie du, mein Bruder«, gab sie kühl zur Antwort.
Sämtliche Begleiter des Prinzen und Judiths Damen zuckten ob ihrer Bemerkung zusammen, doch der Königssohn selbst brach in ein Lachen aus, glockenhell und frei von Verbitterung. Er schlug sich auf die Schenkel. »Das Sch-Sch-Schöne an dir, Judith, ist, dass man über dich nicht viele Worte machen muss.
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