Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
bellte, wenn sie vorbeikamen.
Nach nur wenigen Minuten zügelte Vendanji plötzlich sein Pferd, sprang aus dem Sattel und rannte in zwei Schritten zu einer Tür hinüber, die von einem matten gelben Leuchten umrahmt war. Er klopfte leise an den Türsturz, während Braethen und die anderen ebenfalls anhielten und verwirrt zu ihm hinabsahen. Das hier war keine Kathedrale. Mira bedeutete ihnen abzusteigen, sammelte die Zügel ein und führte die Reittiere in eine überdachte Nische neben dem Haus. Grant half ihr, während seine Augen die Nacht mit der gleichen durchdringenden Aufmerksamkeit absuchten wie die der Fern.
Das Quietschen der Tür erregte Braethens Aufmerksamkeit. Er sah zwischen Tür und Türrahmen einen Ausschnitt eines alten Gesichts, fahle Wangen unter einer schneeweißen Haarmähne. Ein Ausdruck unglücklichen Erstaunens war auf dem Teil des Gesichts, den Braethen sehen konnte, deutlich zu erkennen. Aber der Mann öffnete die Tür, um den Sheson einzulassen. Vendanji wandte sich halb um und bedeutete den anderen stumm, ihm zu folgen.
Alle gehorchten der Aufforderung, bis auf Mira und Grant, die wie ein perfektes Paar wirkten und sich der Gegenwart des jeweils anderen bewusst waren, während ihre Aufmerksamkeit nach außen gerichtet blieb, in die Nacht von Decalam hinein.
Braethen hatte die Tür eben erst durchschritten, als Vendanji sie fest schloss und den Sodalen anwies, die Straße durchs Fenster zu beobachten. Dann trat der Sheson in den Schein einer Laterne, die von einem Deckenbalken hing. Er musterte ihren Gastgeber genau. Der alte, müde wirkende Mann erwiderte den Blick mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Ich brauche eine Erzählung, Garlen, und ich brauche sie binnen eines Eintauchens deines Federkiels in die Tinte.« Vendanji sprach schnell, aber deutlich.
»Was auch sonst?«, antwortete der Mann. »Ich sollte den Klang von Suensins Hufen mittlerweile kennen. Jedes Mal, wenn sie zu meiner Veranda geklappert kommen, erwartest du Worte von mir. Und das in aller Eile.« Ein widerspenstiger Tonfall schlich sich in die Stimme des alten Mannes. »So, wie es steht, könnte es mir schon ein paar Striemen einbringen, dass ich nur mit dir gesprochen habe, und ausgehend davon, könnten einige dieser Hofnarren im Rat entscheiden, dass das Autorenhandwerk mit deinem in Verbindung steht, und den mageren Einkünften ein Ende setzen, die ich den geizigen Kaufleuten noch abringen kann.«
Braethen starrte den Mann an. Ein Autor. Er war so auf seine Aufgabe konzentriert gewesen, dass ihm völlig entgangen war, dass das Haus voller Bücher und Pergamente war. In diesem vollgestopften Heim, das sich in einem ärmlichen Viertel von Decalam verbarg, quollen die Tische vor Pergamentfetzen und Büchern verschiedenster Größe über, von denen einige in Tierhäute, andere dagegen in Stoff gebunden oder mit Bindfäden umwickelt waren. Überfüllte Regale bogen sich unter der Last der Bände und wirkten so wie eine Reihe dünn lächelnder Münder. Geöffnete Truhen, deren Inhalt zu weit daraus hervorragte, um die Deckel noch zu schließen, standen auf dem Boden, und inmitten all dessen schien Garlen für vollkommene Ordnung zu sorgen. Braethen dachte, dass er hier vielleicht den Verstand des Autors vor sich sah, ein Gewölbe voll angehäuften Wissens, die Gedanken und Eindrücke tausender Historiker, Geschichten, die durch alle Zeiten hindurch überliefert worden waren, Geschichten aus Garlens eigener Feder.
»Bitte, Garlen«, sagte Vendanji. »Ich habe nicht die Zeit, über den Verfall einer Gesellschaft zu debattieren, die deine Fähigkeiten nicht zu schätzen weiß, und ich habe dich immer großzügig für deine Arbeit entlohnt.«
»Da bist du der Einzige«, entgegnete Garlen, stieg keuchend eine kleine Treppe hoch und setzte sich auf einen hohen Hocker, der an einem Lesepult stand, das volle zwei Schritt vom Boden aufragte.
»Wir müssen nach Nordosten«, fuhr Vendanji fort. »Die Worte müssen von einem Ort am Rande dessen erzählen, was der gewöhnlichen Geschichtsschreibung bekannt ist – oder auch deiner Erinnerung.«
»Nun kommen wir der Sache schon näher.« Garlen lächelte und zwinkerte. »Bei mir erscheinst du, wenn mein Alter deinen Zwecken entgegenkommt, aber die Federn Jüngerer decken tändelnd deinen Bedarf an Erzählungen, wenn du andere Sorgen hast.«
»Unfug«, rief Vendanji. »Es gibt sonst keine Feder in Decalam, der ich vertraue oder die ich benutze. Keine schärfere, keine schnellere.
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