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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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Schaben des Metalls, als die Klinge entblößt wurde, war irgendwie beruhigend.
    Sevilla schaute mit einer seltsamen Mischung aus Verbitterung und Bekümmerung zu Tahn auf. »So lange in diesem dunklen Land, kleiner Jäger, Rübenbauer«, sagte er. »Noch immer da, obwohl ich durch die Gewölbe von Steinsberg streifen darf.« Wut übermannte sein Antlitz, schierer Hass verzerrte sein Gesicht. »Ich will meinen eigenen Tempel!«
    Sevilla stürzte sich mit verblüffender Schnelligkeit auf Tahn und hob die Hände an seine Kehle. Sutter rief eine Warnung, und Tahn ließ sich nach hinten fallen und rollte sich ab. Sevilla schoss dort, wo Tahn eben noch gestanden hatte, durch die Luft. Als Sevilla sich umdrehte, durchschnitt ein Kreischen die Wildnis. Sutter sprang zwischen sie, während Tahn sich noch abmühte, wieder auf die Beine zu kommen.
    »Kleiner Mann mit Stahlspielzeug«, höhnte das Wesen mit beißendem Spott. »Wenn ich könnte, würde ich deinen Hieb auf mich nehmen, um das köstliche Brennen zu spüren.« Sevilla sprang erneut mit erstaunlicher Geschwindigkeit in die Luft. Sutter holte aus, aber er hatte seine Klinge gerade erst ausgerichtet, als Sevilla ihm schon einen Arm in die Brust rammte. Die verkrümmte Faust der Kreatur sank tief in Sutters Fleisch. Der Rübenbauer ließ sein Schwert fallen und verkrampfte sich.
    Tahn beobachtete, wie sein Freund sich auf Sevillas Arm krümmte, und erkannte schlagartig mit düsterer Gewissheit, dass die Kreatur Menschen durchaus berühren konnte, wenn sie ihnen schaden wollte. Hervortretende Muskelstränge zeichneten sich scharf am Hals seines Freundes ab, als er sich verrenkte und darum rang, sich zu befreien. Aber anscheinend hielt die Kreatur das Herz seines Freundes umklammert. Um sie herum begann die Luft zu flirren und zu wirbeln, ließ Funken aus dem Feuer wild tanzen und riss an ihren Mänteln. Sutter stieß Hilferufe aus, und seine Bewegungen erlahmten.
    Tahn legte einen Pfeil an die Sehne und spannte den Bogen, bevor ihm klar wurde, dass seine Waffe dem körperlosen Geschöpf nicht schaden würde. Es gab nichts, was er tun konnte. Wie konnte er etwas vernichten, was er nicht berühren konnte? Vor seinem inneren Auge sah er plötzlich sich selbst, wie er auf der Klippe stand und sich bereitmachte, ins Leere zu schießen. Sein Herz verriet, dass das die Antwort war, aber er verstand es nicht.
    Tahn ließ die Bogensehne erschlaffen, stürmte auf Sutter und Sevilla zu, sprang seinen Freund an und schlang ihm die Arme um die Taille. Sein Schwung riss Sutter aus dem Griff der Kreatur. Der Rübenbauer stieß einen schwachen, kehligen Schrei aus, als Tahn seine Verbindung zu der Bestie durchtrennte, und stürzte unter ihm zu Boden wie ein Sack Getreide. Tahn drehte sich rasch um und setzte sich auf, spannte erneut den Bogen und zielte auf das Geschöpf der Dunkelheit. Er musste schießen, vertraute aber dem Pfeil nicht.
    Das Wesen sprang vorwärts, das Gesicht drohend verzerrt. Sevillas Lippen zischten Worte, aber Tahn konnte ihre Bedeutung nicht verstehen. Diesmal beeilte das Geschöpf sich nicht, sondern näherte sich langsam, als würde es sich auf ein geheimnisvolles Ritual vorbereiten. Tahn glaubte, in den zerlumpten Überresten der Gestalt, die er vor sich hatte, irgendwie immer noch den steifen Hut und die schmückende Schwertscheide, den feinen Mantel und seinen verzierten Saum erkennen zu können.
    Tahn stand langsam auf und sah Sevilla verunsichert an. Dann warf er den Pfeil zwischen ihnen zu Boden und spannte die Bogensehne erneut. Sevilla stockte; in seinem verzerrten Gesicht regte sich Besorgnis. Wie aus weiter Ferne hörte Tahn Sutter vor Schmerz heulen, aber das Geräusch wurde von einem anderen Klang übertönt, der dem Summen einer sich drehenden Töpferscheibe glich. Wenn er noch einen Pfeil angelegt gehabt hätte, wäre er ihm jetzt von der Sehne gefallen.
    Die Luft umtoste sie weiter, als Sevilla einen vorsichtigen Schritt vorwärts machte. Tahn spannte die Bogensehne noch stärker und spürte sein Herzklopfen in jedem Gelenk seines Körpers. Er sah das hammerförmige Mal auf seiner linken Hand an, um sich zu sammeln, und flüsterte die ältesten Worte, die er kannte: »Den Bogen spannen meine Arme, doch der Wille löst den Pfeil.« Der vertraute Satz war Gebet und Fluch zugleich. Trotz der entsetzlichen Schauer, die sein Fleisch durchliefen, vereinten sich seine Kraft, seine Gedanken und seine Gefühle so, wie er es noch nie zuvor erlebt

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