Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
muss mich vergewissern, dass Penit weiterhin nicht in Gefahr ist. Doch Belamaes enttäuschter Gesichtsausdruck … Ich hoffe, ich habe selbst nicht die schlimmste Entscheidung überhaupt getroffen. Der Sheson hat uns nur meinetwegen alle nach Decalam geführt. Und ich bin nicht geblieben …«
Die Erkenntnis traf ihn: Wendra war die andere Hälfte dessen, was Tahn am Fels der Erneuerung bewirken sollte. Vendanji hatte gewollt, dass sie mithalf, den Schleier durch ihre Sangeskunst stark zu halten, und der Sheson wollte Tahns Geist dort auf die Probe stellen, wo die Welt den Abgrund berührte, so dass er jeden Augenblick noch einmal durchleben würde, von dem er hoffte, sich nie daran erinnern zu müssen. Warum? Es musste etwas mit Wendra und dem Schleier zu tun haben. Er glaubte, dass die Antwort trügerisch einfach sein musste, und doch entglitt sie ihm und erfüllte sein Herz mit Furcht.
Bis Wendra ihn bei den Schultern packte und eine Armeslänge zurücktrat. »Jetzt zu Wichtigerem.« Sie sah sich um und schien eine Bestandsaufnahme all ihrer Gefährten zu machen. » Wie zutreffend sind diese Gerüchte, dass du etwas für die Fern empfindest?« Ein schelmisches Lächeln spielte um ihre Lippen.
Tahn schüttelte den Kopf. »Du hast mit Sutter geredet.«
»Nein, ich habe ihn nur belauscht. Man sollte doch annehmen, dass ein Rübenbauer, der es gewohnt ist, allein zu sein, gelernt hätte, leiser zu sprechen. Aber er scheint nur eine einzige Lautstärke zu kennen, und ich konnte gar nicht anders, als mehr als eine Bemerkung über deine Zuneigung zu ihr aufzuschnappen.«
Tahn legte Wendra die Hände auf die Schultern. »Schwester, wenn ich jemals eine Entscheidung in Bezug auf Mira fälle, bist du die Erste, die davon erfährt.«
»Schon gut, Bruder«, erwiderte Wendra. »Du fühlst dich eindeutig zu ihr hingezogen, aber ich frage mich, ob du darüber nachgedacht hast, was daraus werden könnte.«
Die Frage überrumpelte Tahn. »Mach dir keine Gedanken um mich«, sagte er. »Ich habe meine Tage als hoffnungsloser Melura gerade beendet.« Er lächelte matt. »Ich nehme an, es ist ganz natürlich, dass ich in Sachen Liebe ein paar Fehler begehe. Kümmer du dich lieber um deine Stimme. Ich vermisse deine Lieder.«
Sie küsste ihn auf die Wange und ging zu Penit. Die beiden kehrten Arm in Arm zu ihrem Pferd zurück.
»Sie ist eine starke Frau.«
Die Stimme ließ Tahn zusammenschrecken. Er drehte sich um und stellte fest, dass Grant neben ihm stand.
»Wendra, deine Schwester.« Grant nickte in Wendras Richtung. »Sie wird deine größte Verbündete sein, wenn du ihr die Treue hältst.«
Galle stieg Tahn in den Rachen. Sein Zorn pulsierte in ihm, so dass er noch nicht einmal Worte hervorstoßen konnte, um den Mann zu beschimpfen.
»Tahn, ich will …«
Seine Worte fanden ihn. »Es kümmert mich nicht, was du willst, Verbannter. Du hast schon vor langer Zeit dein Recht verwirkt, mir Ratschläge zu erteilen. Du bist eine Beleidigung für jeden, der dich kennt.«
Der gleichmütige Ausdruck in Grants Augen geriet ins Wanken. Ein anderer Mann hätte sich vielleicht provozieren lassen, aber dieser hier erwiderte Tahns Blick nur mit der Geduld langer Einsamkeit. »Was du zu denken beschließt, ist deine Entscheidung. Aber du solltest besser dein neugewonnenes Gedächtnis durchforsten. Jenseits dieser Berge wartet eine Aufgabe auf dich, und du musst in Herz und Verstand gefestigt sein, um sie zu erfüllen. Ich wollte dich nicht wegschicken. Es war das Beste und Sicherste für dich. Und ich habe meinen engsten Freund und seine Frau überredet, nach Helligtal zu gehen, um dich und ihre kleine Tochter großzuziehen, weil ich wollte, dass du das beste nur mögliche Leben hast.« In Grants Stimme schwang keine Entschuldigung mit.
Es war nicht die Stimme der Versöhnung. Nicht die Stimme eines Vaters.
Und dafür hasste Tahn ihn umso mehr. »Doch soweit ich weiß, bist du den Kindern im Mal ein Vater. Wie bist du zu der Entscheidung gelangt, dass sie deiner Sorge und deines Schutzes würdig sind, dein eigener Sohn hingegen nicht?« Tahn hob die Hand. »Nein. Ich will keine Antwort. Eine andere als eine Lüge hättest du ja doch nicht zu bieten, und die werde ich mir nicht mehr anhören. Balatin war vielleicht zu schwach, mir die Wahrheit zu sagen, aber er hat mich geliebt. Er war gut zu mir. Er war mein Vater. Du bist nur eine müde, ausgelaugte Hülle, die an einem sterbenden Ort Wache hält. Sogar der Tod ist noch zu gut
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