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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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Seite. »Ich habe die Schriftrolle drei Mal geöffnet …«
    »Nur geöffnet?«, fragte Tahn verwirrt.
    Braethen sah Tahn ruhig an. »Sie ist leer.«
    »Was hast du herausgefunden?« Die Stimme ließ sie zusammenzucken.
    Tahn und Braethen schauten auf und sahen, dass Vendanji über sie gebeugt dastand. Der Sheson hatte die Kapuze hochgeschlagen, so dass seine hohlen Wangen im Schatten lagen. Er sprach leise, als müsste er sich seine Kräfte sorgsam einteilen.
    Braethen warf kurz einen Blick auf die leere Schriftrolle. »Nichts, Sheson.« Seine Stimme war genauso leise, und aus seinem Tonfall sprach Versagen.
    »Unfug«, entgegnete Vendanji, doch die mangelnde Betonung ließ das Wort wenig überzeugend klingen. »Leg dein Buch eine Weile beiseite, Sodale, und sag mir eines: Hast du ein eigenes Wappen?«
    »Ich trage das Zeichen der Sodalität. Es ist …«
    »… ein achtbares Symbol«, schloss Vendanji. »Aber es gehört dir nur so sehr, wie der Himmel oder die Erde dein sind. Wir werden alle in größere Familien aufgenommen. Das ist notwendig und wichtig, aber es ist nicht einzigartig. Verstehst du?«
    Braethen nickte. »Ich habe kein Familienwappen. In Helligtal schien dazu nie die Notwendigkeit zu bestehen. Alle kannten meinen Namen …«
    »Das ist nicht der eigentliche Zweck eines persönlichen Siegels, Sodale.« Vendanji hielt inne, um nachzudenken, ohne den Blick von Braethen abzuwenden. »Vielleicht hast du genau das herausgefunden, was du gesagt hast.« Nichts. Der Sheson sprach zwar mit wenig Nachdruck, aber seine Worte verrieten merkliche Enttäuschung.
    Nach allem, was er getan und gehofft und gegeben hatte, tat diese Enttäuschung weh.
    Doch der Sheson rührte sich nicht, schien Braethen zu mustern und ihn vielleicht dadurch, dass er ihm seine Gegenwart auferlegte, zu irgendeiner Erkenntnis drängen zu wollen.
    Dann berührte Braethen sacht die leere Schriftrolle und murmelte noch einmal: »Alle kannten meinen Namen …«
    Ohne Hast zog er eine grüne Phiole und einen Federkiel aus seinem Gepäck hervor. Er löste den Korken aus der Phiole, tauchte die Feder ein und stellte die Tinte beiseite. Dann legte er Ogeas leeres Pergament auf das Buch auf seinem Schoß und zeichnete oben in die Mitte einen einzelnen Grashalm. Er gab ihn so kunstvoll wieder, als würde er im Kopf genau das vor sich sehen, was er zu zeichnen plante.
    Braethen schaute nicht zu dem Sheson auf, sondern starrte auf das Bild hinab, als die Tinte trocknete. Nach mehreren Augenblicken flüsterte er: »Ja’Nien.«
    Vendanji wirkte befriedigt. Er nickte und sagte: »Deine eigene Geschichte, Sodale. Sie ist wichtig.« Damit ging er davon.
    Braethen rollte das Pergament zusammen und schob es vorsichtig in sein Bündel. Als er die Hände wieder hervorzog, hielt er darin eine Nadel und mehrere Garnstränge. Er hob seinen Mantel hoch und ging daran, auf der linken Brustseite das Symbol, das er auf das Pergament gezeichnet hatte, in den Wollstoff zu sticken.
    »Du hast doch wohl vor, mir zu sagen, warum du dich gerade für dieses Wappen entschieden hast, oder?« Tahn lächelte und stieß Braethen an.
    »Wir werden bald einen ganzen Sack voller Geheimnisse austauschen«, antwortete Braethen und stickte weiter. Er gestattete sich ein kleines, zweifelndes Lächeln, als er Tahns fragendem Blick begegnete.
    »Ich freue mich darauf«, sagte Tahn und stupste seinen Freund noch einmal.
    Wenige Augenblicke später rief Mira: »Packt eure Sachen zusammen.«
    Braethen schlug das Buch zu und sammelte seine Habseligkeiten ein. Er schulterte Ogeas Tasche und schob sein Schwert in die Scheide. »Na, dann auf zum Tillinghast!«
    Sobald sie den Pass überquert hatten, wurde die Luft plötzlich wärmer, als hätten die Jahreszeiten der Menschenwelt jenseits davon keine Geltung. Ein flaches Tal erstreckte sich vor ihnen. Dahinter ragten wieder die Berge auf.
    Überall auf dem Talboden lagen umgestürzte Bäume, deren Stämme halb im Erdreich begraben waren. Einst fein verästeltes Wurzelwerk ragte in verschlungenen Knoten in die Luft. Tahn hatte den Eindruck, sich einem Garten voller Steinstatuen gegenüberzusehen, die bei einem Erdbeben umgestürzt waren. Die Länge der Baumstämme verschaffte ihm einen Eindruck davon, wie majestätisch sie gewirkt haben mussten, als sie noch aufrecht gestanden und nach dem Himmel gegriffen hatten.
    Auf dem undurchschaubaren Gesicht des Sheson zeichnete sich eine Art von Verzweiflung ab, die Tahn, soweit er sich erinnern

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