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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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Bar’dyn herfiel.
    Die Großartigkeit der harschen Klänge umfing sie. Bei Penits Anblick – eine weiße Form auf dunklem Hintergrund – veränderte sich die Klangfarbe ihres Schreckensliedes ein wenig, und binnen eines Augenblicks konnte sie sich nicht mehr an seinen Namen erinnern. Sie erkannte seine Gestalt, die Rundung seines Kinns, den dünnen Oberkörper und die Beine, aber sein Name war entschwunden. Die Trauer und Enttäuschung darüber, das Kind zu vergessen, wallten in ihr auf und wirbelten wie eine Wiederholung auf ihr Lied zu, als plötzlich ein süßer, tiefer Kontrapunkt mit einfiel. Wendra drehte sich um und sah ein strahlendes Licht in Gestalt eines hochgewachsenen Mannes. Auch ihn erkannte sie, hatte aber keine Ahnung, wer er sein mochte. Die Harmonie, die von der Gestalt ausging, besänftigte sie, ließ ihre eigene Melodie ruhiger werden, formte sie um, und sie stellte fest, dass sie ganz natürlich darauf hinarbeitete, dem Verlauf seines schlichten, schönen Liedes zu folgen. Einige Wendungen drohten mit ihr durchzugehen und sie von dem neuen Lied wegzuführen, um sie zurück in die beruhigende Gewissheit zu stürzen, alles schwarz zu singen. Aber das sanfte Beharren der Gegenmelodie gab ihr Sicherheit und lenkte sie. Stück für Stück wurden das, was sie fühlte, und das, was sie hörte, eins, und die Farbe kehrte wieder in die Dinge zurück, die sie sah.
    Als die Melodien sich in sanftem Gleichklang vereinigten, sah sie Shanbe auf sich zukommen, ein väterliches Lächeln auf den vollen Lippen. Sie sang, bis ihr der Atem ausging, und brach in den Armen des Ta’Opin zusammen. Ihr dunkles Lied war zu Ende.
    Wendra erwachte vom Knarren der Wagenachsen und dem Rumpeln harter Räder über Steine in der Straße. Sie registrierte einen unangenehmen Geschmack in ihrem Mund, wie nach sauer gewordener Milch und Ruß. Langsam öffnete sie die Augen und sah eine Welt voller Blätter träge über sich hinwegziehen. Der Sonnenstand verriet ihr, dass bald die Nacht anbrechen würde, und der Gedanke missfiel ihr; die Dunkelheit, die sie vor Augen gehabt hatte, als sie zuletzt gesungen hatte, blitzte in ihrem Gesichtsfeld auf und legte sich über die Zweige. Dann spürte sie den Druck einer warmen kleinen Hand, die sich an ihre klammerte. Sie drehte den Kopf auf der Wolldecke, die jemand für sie zu einem Kissen zusammengerollt hatte, und sah Penit neben sich auf der Ladefläche des Wagens sitzen. Der Junge starrte über sie hinweg in den Wald, und seine verstörte Miene ließ sein junges Gesicht um Jahre älter wirken, als es eigentlich war.
    Wendra drückte Penits Hand und erregte so seine Aufmerksamkeit.
    »He, sie ist wach!«, schrie er Shanbe zu, richtete sich auf die Knie auf und rutschte vorwärts, um sich über sie zu beugen. »Du bist ohnmächtig geworden«, bestätigte er ihren Verdacht. »Geht es dir jetzt wieder gut?«
    Wendra lächelte über die Besorgnis, die aus den Zügen des Kindes sprach. »Es geht mir gut, aber ich könnte etwas Wasser gebrauchen.«
    Penit ließ ihre Hand nicht los, während er nach vorn langte und einen Wasserschlauch aus einem Durcheinander von Ausrüstungsgegenständen zog, die sich links und rechts von ihnen stapelten. Er öffnete den Schlauch für Wendra und hob ihn ihr so an die Lippen, wie sie es selbst mit kleinen Händen für Balatin getan hatte, als ihr Vater einmal erkrankt war. Die Parallele zwischen den beiden Vorgängen linderte den Schmerz in ihren Gliedmaßen. Das Wasser spülte ihr den widerlichen Geschmack aus dem Mund, und sie ließ sich wieder auf die Decke sinken. Plötzlich kam ihr ein quälender Gedanke, und sie versuchte sich aufzusetzen, aber ihr Magen verkrampfte sich und zwang sie, sich hinzulegen, bevor Penit sie dazu nötigen konnte.
    »Die Bar’dyn?«, stieß sie hervor, hustete das Wort förmlich aus.
    »Die meisten sind tot«, antwortete Penit. »Die übrigen sind durch die Bäume davongekrochen, bevor du zu singen aufgehört hast.«
    Die Erinnerung an ihr Lied kehrte zu ihr zurück, und die kraftvolle, zornige Melodie lud sie ein, ihr erneut eine Stimme zu verleihen. Aber ihr Herz spürte nichts von der vorherigen Wut, und das Gefühl ging vorüber.
    »Was ist mit Jastail?« Sie versuchte wieder, sich aufzusetzen, da der Gedanke an den Wegelagerer sie plötzlich nervös machte.
    Penit blieb stumm.
    Es war Shanbe, der antwortete: »Als sein Handel gescheitert war, ist er rasch den Hang hinauf geflüchtet und so deinem Lied entkommen.«
    Die

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