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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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tiefe, volltönende Stimme des Ta’Opin beruhigte sie wie Tee mit Honig. Sie war melodiös und erklang in einem heiteren Auf und Ab, ganz anders als die schreckliche Gleichförmigkeit und abgehackte Sprechweise, die das tiefe Grollen der Bar’dyn auszeichneten. Wendra wollte, dass Shanbe weitersprach, so dass sie lauschen und die Musik seiner Worte in sich aufnehmen konnte. Aber er hatte sie überrascht und gesehen, was sie getan hatte. Die Erkenntnis, dass er Zeuge ihres zerstörerischen Liedes geworden war, ließ sie hoffen, dass er schweigen würde.
    »Er wird uns nicht verfolgen«, versicherte ihr Penit. »Er hat jetzt Angst vor dir. Und Shanbe ist bei uns. Er bringt uns nach Decalam, damit ich am Lesherlauf teilnehmen kann.« Penit lächelte und war wieder ganz das fröhliche Kind, das sie liebte, als ob ihn alles, was er durchgemacht hatte, gar nicht berührt hätte.
    Aber er hatte eine schmerzliche Wahrheit ausgesprochen: Ein Teil von ihr versetzte den Wegelagerer in Furcht. Sie kam zu dem Schluss, dass sie sich selbst davor fürchtete. Die seidige Verlockung der Töne, die sie gesungen hatte, hatte sie verführt, obwohl sie sich beim Komponieren des Liedes bewusst gewesen war, dass sie einen Zustand auslösten, in dem sie nur Dunkelheit sehen würde.
    Wendra wurde auch klar, dass Penit sich immer noch an eine der Lügen klammerte, die Jastail ihm erzählt hatte – an die, dass Penit an irgendeinem Rennen teilnehmen würde, sobald sie Decalam erreichten. Sie zog in Erwägung, ihn zu verbessern, fragte sich aber, ob Shanbe die Ablenkung zugelassen hatte, um den Jungen beschäftigt zu halten.
    »Vielleicht gewinnt der Junge sogar«, fügte Shanbe hinzu. »Ich habe ihn zu Euch laufen sehen, als der Bar’dyn ihn hat fallen lassen. Er hat flinke Füße.«
    »Was gewinnt er denn dann?«, fragte Wendra.
    Sie hörte, wie Shanbe sich auf dem Kutschbock umdrehte, als ob er sehen wollte, ob sie nur im Scherz gesprochen hatte.
    »Ihr habt wirklich keine Ahnung, nicht wahr?«, fragte Shanbe.
    »Ich werde die Regentin doch noch treffen!«, rief Penit.
    »Das stimmt«, begann Shanbe, und der Ton einer Geschichte, die erzählt werden will, stahl sich in seine Stimme. »Der Lesherlauf ist ein alter Brauch, war aber kaum mehr als eine Legende … bis die Regentin dann das Große Mandat einberufen hat.« Das Holz von Shanbes Kutschbock knarrte, als er sich wieder dem Fahren zuwandte. »König Sechen Baellor hat das Große Mandat mitten im Krieg der Hand einberufen, als die meisten Nationen bereits der Stille anheimgefallen waren. Er wusste, dass schon viele Bündnisse mit den Stilletreuen geschlossen worden waren und dass auch die übrigen Länder in kommenden Jahren Verträge mit ihnen abschließen würden, um im Gegenzug milde Behandlung zu erfahren. In seinem eigenen Königreich Vohnce spürte er inbrünstigen Tatendrang, aber er wollte nicht, dass die Entscheidungen von einem parteiischen Rat getroffen wurden, in dem nur Adlige zusammenkamen, um herumzustolzieren und sich aufzuplustern. Deshalb ließ er verlautbaren, dass ein Mitglied des gemeinen Volkes – jeder Mann oder jede Frau, wer auch immer dazu bereit war – vom Volk erhoben werden dürfte, um einen Sitz unter den übrigen einzunehmen.« Shanbe hielt inne und sagte bei sich: »Er war ein guter Mann.« Dann räusperte er sich und fuhr fort: »Jedenfalls verkündete er auch, dass ein Kind im Ratszimmer bei ihnen sitzen sollte, um den Gedanken und Befürchtungen der Kinder Ausdruck zu verleihen. Seine eigenen Nachkommen wurden von der Kandidatur ausgeschlossen, aber es hieß, dass er der Ehrlichkeit und den Instinkten seines Sohnes und seiner Tochter mehr vertraute als dem Rat seiner Gelehrten und der anderen Adligen. Viele sprachen sich gegen die Aufnahme eines Kindes in den Rat aus, weil sie glaubten, dass es doch nur die Ansichten seiner Eltern wiedergeben würde. Anderen missfiel der Gedanke, weil sie sich nicht sicher waren, wie man gerecht einen Vertreter der Kinder wählen sollte.« Shanbe lachte gutmütig. »Der König zog eine Reihe von Prüfungen in Erwägung, aber er wusste, dass sie adligen Kindern, die sich Hauslehrer leisten konnten, einen Vorteil verschaffen würden. Ein Kampf erschien dem König unangemessen, und er lehnte auch den Vorschlag ab, dass man den Kindern beibringen könnte, Stimmen für sich selbst zu sammeln, indem sie herumgingen und Reden hielten. Also entschied er sich für einen einfachen Wettlauf. Manche beklagten sich auch

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