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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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fortfahren sollte. »Was Ihr tut, was Ihr seid, ist ein stärkeres Instrument als jede Ausbeute meiner Reise, mit der die Discantus-Kathedrale rechnet. Macht Euch keine Gedanken um das Zeug, das ich zurückgelassen habe! Es ist wohlverborgen und unauffällig. Ihr, mein Mädchen, dürft keins von beidem sein. Die Veränderungen, die die Regentin bewogen haben, das Große Mandat einzuberufen, sind wahrscheinlich dieselben, die mich ins Land haben ausziehen lassen, um diese rostigen Gegenstände zu finden und nach Decalam zu schleppen. Und jetzt, da ich Stilletreue so tief im Landesinnern gesehen habe, bin ich mir dessen fast sicher. Dass sie Euch beinahe in die Hand bekommen hätten, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.« Er schenkte ihr einen mitleidigen Blick. »Was Ihr ihnen angetan habt … Das habt Ihr noch nie zuvor getan, nicht wahr?«
    »Nein«, brachte sie heraus. Düstere Erinnerungen flackerten in ihrem Verstand auf. Sie fragte sich, ob ihr Lied wohl dunkel genug geworden wäre, um Penits Licht zu stehlen. »Ich bin mir noch nicht einmal sicher, was geschehen ist.«
    »Ich habe es noch nie gesehen«, sagte Shanbe, »aber ich habe Geschichten darüber gehört. Als ich in der Discantus-Kathedrale von den Maesteri ausgebildet wurde, haben sie uns davor gewarnt. Aber tausend Stimmen könnten Töne zu einem Lied versammeln und sie so schmerzlich vortragen wie Ihr, ohne dass die Welt sich auch nur um einen Deut verändern würde. Das, was in Euch steckt, Anais, ist wahrlich eine seltene Musik, und Musik rührt an die Ewigkeit.« Der Ta’Opin beugte sich vor und legte ihr die Hand auf die Stirn. »Aber es gibt zwei Ewigkeiten, Wendra: Euer Lied kann den Menschen Hoffnung schenken und sie in eine bessere Zukunft führen, oder es kann Tod und Verdammnis bringen. Über solche Macht zu verfügen ist eine Verantwortung, die Ihr zu tragen lernen müsst. Deshalb fahren wir nach Decalam«, schloss er.
    »Was für Veränderungen haben die Regentin denn veranlasst, ein Großes Mandat einzuberufen oder sich auf eine Versammlung zu besinnen, die seit Generationen tot ist? Welche Veränderungen sorgen dafür, dass Nachfrage nach abgenutzten Instrumenten und muffigen Notenblättern besteht?«, fragte Wendra.
    »Was ich weiß, wäre nur die halbe Wahrheit, und ich würde nicht recht daran tun, hier davon zu sprechen. Außerdem sollte man auf unsicheren Straßen keine Zeit verschwenden.« Er schwang die Beine hoch und wirbelte wieder nach vorn herum. »Ihr habt Fragen, da bin ich mir sicher. In der Kathedrale kann man sie Euch besser beantworten als ich hier. Ihr solltet Euch ausruhen. Ich mache bei Sonnenuntergang halt, aber nur lange genug, um etwas Kaffee zu brauen und das Gespann rasten zu lassen. Wir werden Decalam morgen erreichen.«
    Wendra sah zu Laub und Himmel empor, die als Mosaik im Licht der ersterbenden Sonne vorbeizogen. Sie konnte das Messing und das Holz der wunderbaren Instrumente riechen, die Shanbe noch dabeihatte, den staubigen Geruch alten Pergaments. Während der Wagen knarrend nach Norden rumpelte, hielt Wendra weiter Penits kleine Hand gut fest.
    »Wart’s nur ab«, sagte der Junge mit seinem unverwüstlichen Lächeln, »ich passe schon auf dich auf.«
    Wendra legte die andere Hand auf Penits kräftige Finger.

10
    Eine stille Wiege
    A ls das Hohe Licht aus den fernen Bergen vor ihnen aufstieg, sah Braethen das Ende des Mals. Eine dünne grüne Linie am Horizont zeugte von Leben und Wachstum. Die Rührung über die verheißungsvolle Farbe schnürte ihm die Kehle zu. Er hatte die schlichte Schönheit von Blattwerk schon beinahe vergessen und ertappte sich bei dem Wunsch, es schnell zu erreichen und das Mal hinter sich zu lassen.
    Grant hatte seinen Mündeln Anweisungen erteilt und einem nach dem anderen die Hand gegeben, bevor er abgereist war. Trotz seiner Verbitterung blieb er die gemeinsame Verbindung, an die sich all diese verlassenen Kinder in der Ödnis des Mals klammerten. Auf sehr wirkliche Art war er ihr Vater.
    Er war ein Schatten, dachte Braethen, mit einem Erlass auf hochoffiziellem Pergament in die Verbannung geschickt, ein Mann, der, obwohl er seit fast zwanzig Jahren hier lebte, nicht gealtert war, während er die Ausbreitung dieses trockenen, geschundenen Landes verfolgt hatte. Doch dieser Schatten rettete auch Kindern das Leben, und das an einem Ort, der so einsam und unbarmherzig war, dass ihr Leben nur aus dem Bedeutung zu gewinnen schien, was sie einander gaben. Respekt vor

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