Das Gift der Drachen Drachen3
Geruch von Erbrochenem, den ich ausstrahlte. Mir war speiübel geworden, nachdem ich mich zusammen mit Jotan dem Gift hingegeben hatte. Ich war bestürzt darüber, dass ich dem Verlangen nach diesem Gift erneut nachgegeben hatte, und noch dazu so bereitwillig. Schließlich war ich nach Lireh gekommen, um eine Revolution anzuzetteln, einen Krieg zu beginnen. Ich besaß Wissen, das eine jahrhundertelange Unterdrückung beenden konnte, und hatte darüber hinaus geschworen, mich nie wieder dem Gift hinzugeben. Keine Halbheiten! Das war mein Mantra, mein Motto, das Prinzip, das meine kühne Zuversicht stützte, seit ich aus Ghepps Verlies entkommen war.
Und doch war ich beim ersten Anblick, beim ersten Duft von Gift schwach geworden und hatte mich ihm ergeben. Großer Drache, wie sehr ich mich dafür verachtete!
»Ich hatte das Bedürfnis, jemandem einen derartigen Hieb gegen den Schädel zu versetzen, seit man mir das angetan hatte.« Jotans Stimme klang heiser und leise. Ich erinnerte mich daran, wie sie im Gefängnis bewusstlos geschlagen worden war, unmittelbar vor unserer Rettung. Allerdings war ihr Schädel dabei nicht eingebeult worden wie die Schale eines hohlen Kürbisses. »Ich nehme an, ich sollte dankbar sein, dass ich das überlebt habe.«
»Du nimmst es an?«
Jotan deutete mit einem gleichgültigen Ruck ihres Kinns auf den Drachenmeister. »Er konnte das Gift an mir wahrnehmen. Deshalb hat er mich angegriffen.«
»Der Drachenmeister mag keine Frauen«, murmelte ich. »Er hat den Kampf um seine geistige Klarheit schon vor langer Zeit verloren. Nur deshalb ist er wild geworden, aus keinem anderen Grund.«
Aber noch während ich das sagte, wurde mir klar, dass Jotan recht hatte. Der Geruch des Giftes, der Jotan wie das Aroma von überirdischem Moschus umgab, hatte den Anfall des Komikon ausgelöst. Wie würde ich sein, wenn ich erst so alt war wie er?
Ich sah zu dem Heiler hinüber, musterte sein langes, schmales Gesicht. Mit großer Konzentration packte er Gegenstände aus den Schubladen des Rollwagens, den er in das Gemach des Drachenmeisters geschoben hatte. Er wirkte kein bisschen irritiert, dass man ihn mitten in der Nacht aus dem Bett geholt hatte, damit er sich um einen Fremden kümmerte, der von zwei Frauen angegriffen worden war. Aus Jotans gelassener Miene schloss ich, dass dieser Kenner der umfassenden Heilkünste auch von ihrer ungesetzlichen Sucht wusste. Wie hatte sie sich wohl sein Schweigen und seine Loyalität erkauft?
Schließlich richtete ich meinen Blick wieder auf die wächserne Hülle des Drachenmeisters. Das Kissen unter seinem Kopf war von der bernsteingelben Flüssigkeit durchtränkt, die aus dem Riss in seinem Schädel sickerte. Seine Augen sahen aus, als hätte jemand mit der geballten Faust darauf geschlagen, und sein Gesicht war merkwürdig schief, als wäre eine Hälfte nach unten verrutscht. Er wirkte grotesk und fremd auf mich. Unwillkürlich dachte ich an meine Mutter, daran, wie sie in den letzten Tagen ihres Lebens ausgesehen hatte, nachdem jemand ihr mit dem Stiefelabsatz den Kiefer zertrümmert und die Nase gebrochen hatte.
Was empfand ich? Überlegene Gleichgültigkeit? Furcht? Erleichterung? Entsetzen?
Nein. Es war ein weit vertrauteres Gefühl: Zorn.
Ich war ärgerlich, weil der Drachenmeister Jotan angegriffen hatte, wütend, weil diese Attacke ein so primitives Gefühl von Gewaltbereitschaft in mir ausgelöst hatte. Wütend, dass er sich geweigert hatte, sich unseren Fäusten und Zähnen zu ergeben, und zornig, weil er im Koma lag und wahrscheinlich nicht überleben würde. Ich war ergrimmt, weil ich jetzt keinen Drachenmeister hatte, der meine jungen Bullen ausbilden konnte … falls aus diesen Kokons überhaupt Bullen schlüpften. Und am meisten erzürnte mich, dass ich Gift genommen hatte.
Ich hatte rasende Kopfschmerzen und sehnte mich nach Wasser, Dunkelheit und Schlaf.
Der Heiler verband die Wunde über Jotans linker Brust, in die der Drachenmeister seine faulen Zähne gegraben hatte. Jotan saß dabei steif auf dem Rand des vornehmen Bettes, in dem der Komikon lag, hatte die Augen geschlossen und atmete scharf ein, als der Mann eine Nadel durch ihre Haut stach und den Katzendarm festzog, um die Wunde zu schließen. Ich ließ mich in einen Sessel am Kamin fallen.
Und schlief ein.
Als Jotan mich weckte, war der Heiler verschwunden. Ich hatte einen steifen Hals, und mein Mund war staubtrocken. Das Feuer im Kamin war schon lange erloschen. Jotan trug
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