Das Gift der Drachen Drachen3
dem Regen schlossen.
Gleichzeitig bewunderte ich die Kühnheit dieser Frauen, die es wagten, in diesen kalten Hallen zu wandeln und der beeindruckenden Männlichkeit der Wapar zu trotzen, und das nur, um Wissen zu erlangen. Dass einige Frauen sogar als Dozentinnen tätig waren, beeindruckte mich noch viel mehr. Mit Leichtigkeit konnte ich mir ausmalen, wie Tempelsoldaten durch die steinernen Flure marschierten und eine Frau unter irgendeinem Vorwand in Haft nahmen.
Wie die Rishi sahen sich auch Bayen-Frauen erheblichen Repressalien ausgesetzt, sollten sie versuchen, aus dem starren Reglement des patriarchalischen Tempelregimes auszubrechen.
»Er erwartet mich«, murmelte Jotan, als wir vor zwei großen Holztüren stehen blieben, die doppelt so hoch waren wie wir. Jetzt befanden wir uns tief im Innern der Wapar. Wasser rieselte über die Wände, und das Flüstern von Menschen huschte wie Ratten durch den dämmrigen Flur. »Er hat heute keine Studenten bei sich und empfängt keinen Besuch außer mir. Trotzdem solltest du deine Kapuze aufgesetzt lassen, falls doch jemand da ist. Sag in diesem Fall kein Wort, und folge mir sofort hinaus.«
Die Kammer hinter der Tür war dunkel und roch nach Seifenlauge, Alkohol und Schwefel. Durch die kleinen, mit einem Steingitter geschützten Fenster dicht unter der Decke fiel wässriges Licht. Staub tanzte in der Luft. Unsere Füße in den eleganten Sandalen schabten leise über den gefliesten Boden. Das Echo dieses Geräuschs hallte durch die riesige Kammer. Die Türen quietschten, als Jotan sie hinter sich schloss.
Merkwürdige Gläser standen auf Tischen neben tropfenden Destillierkolben. Schriftrollen lagen dort und massive Folianten, deren aufgeschlagene Seiten von Steinen auf den vier Ecken des jeweiligen Buches gehalten wurden. Auf Schiefertafeln standen mit Kreide notiert Zahlen, Symbole und Formeln; diese Tafeln bedeckten die Wände zwischen sechseckigen, mit Schriftrollen vollgestopften Regalen und offenen Schränken, in denen rätselhafte Instrumente lagen.
»Wen hast du mitgebracht?«, blaffte eine Stimme hinter uns. Ich fuhr herum und stand einem rotgesichtigen Mann gegenüber, dessen Augen in seinem Gesicht zu schwimmen schienen. Sein dunkles, öliges Haar war weiß gefleckt, und ich brauchte einen Moment, bis mir klar wurde, dass dieses Weiß Schuppen waren. Der Mann trug mehrere Hemden und Hosen übereinander; unter den Rissen und schlecht gestopften Löchern jeder Schicht war die nächste, andersfarbige sichtbar. In eine Tasche hatte er einen verwelkten Strauß Blüten gestopft.
Jotan streifte ihre Kapuze zurück. Trotz des dämmrigen Lichts sah ich, dass ihre Wangen gerötet waren. »Das ist Zarq, die Ausgeburt. Zarq, ich möchte dir Komikon Sak Chidil vorstellen.«
Sak Chidil wirkte weder überrascht, noch schien es ihn zu irritieren, die berüchtigte Drachenhure von Brut Re in seinem Laboratorium zu empfangen. Mein Herz dagegen pochte vor Aufregung, weil meine Identität so beiläufig enthüllt worden war. Jotan schlug meine Kapuze zurück, damit er mich sehen konnte, und ich stieß ihre Hand weg. Sak Chidil drehte sich jedoch nach einem flüchtigen Blick auf mich zu ihr um und sagte nur: »Nimmt sie es ebenfalls? Ich kann dir nicht mehr als die übliche Menge geben!«
»Sie wird keine Entschädigung dafür leisten wollen«, murmelte Jotan.
»Dann kommt.« Sak Chidil verbarrikadierte mit einem Holzbalken die Türen, durch die wir eingetreten waren, und ging dann zum anderen Ende des Laboratoriums, wobei er gelegentlich stehen blieb und den Stopfen eines Destillierkolbens oder einen Gummischlauch zurechtrückte oder etwas mit einer Pipette umrührte.
Jotan folgte ihm. Ich ging hinter ihnen her, nachdem ich mich von dem Schock, enttarnt worden zu sein, erholt hatte.
»Die berüchtigte Drachenhure, heho?«, sagte Sak Chidil. »Wie oft hast du den bestialischen Ritus denn vollzogen, hm?«
Als ich nicht antwortete, unterbrach er seine Arbeit an einem Reagenzglas und sah mich an.
»Antworte ihm ruhig, Zarq«, sagte Jotan leise. »Er interessiert sich nur aus wissenschaftlichen Gründen dafür. Du hast nichts zu befürchten.«
»Jedenfalls ebenso wenig wie alle anderen«, blaffte Sak Chidil. »Unfälle, Krankheit, Politik …. Irgendwas erwischt uns am Ende alle. Also, zehn Mal? Oder häufiger?«
»Ich habe nicht mitgezählt«, erwiderte ich frostig.
Er fuchtelte mit der Pipette in seiner Hand vor meinem Gesicht herum. »Deinen Augen nach zu urteilen,
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