Das Gift der Drachen Drachen3
schlug erneut zu und zwang mich in die Knie. Noch als der Anfall längst abgeklungen war, hockte ich benommen und desorientiert auf dem Boden.
Großer Drache, das schaffe ich nie!
Doch nein, ich würde es schaffen. Ich musste es schaffen! Keine Halbheiten mehr!
Zitternd stand ich auf, hob zwei weitere Zaumzeuge von ihren Haken, schlang mir sie ebenfalls um den Hals und fand in einem rostigen Schrank ein Messer, mit dem man die Schwielen von den Klauen eines Drachen hobeln konnte. Ich wischte mir die schweißnassen Hände an meinem Bitoo ab und packte das Messer. Dann näherte ich mich vorsichtig der Kate der Stallburschen.
Ganz ruhig, sagte ich mir, während ich vor Nervosität zitterte. Ganz ruhig.
Ich legte eine Hand auf die schwere Holztür und flehte sie stumm an, keinen Laut von sich zu geben. Ich hätte nicht das Holz anflehen sollen, denn es waren die Angeln, die mich verrieten. Sie quietschten, und ich erstarrte.
»Wer ist da?« Die Stimme war jung und klang schlaftrunken. Und verängstigt. Nach einer Pause flüsterte sie zitternd: »Kaban? Du hast die Tür aufgelassen.«
Ich rührte mich nicht von der Stelle, während mein Herz schmerzhaft gegen meine Rippen hämmerte, und umklammerte krampfhaft das Messer. In der Kate schnarchte jemand geräuschvoll. Über mir donnerte es.
»Kaban?« Der Rufer klang zögernd, als würde er den Schnarchenden nur ungern wecken.
Das Schnarchen brach ab, setzte jedoch kurz darauf wieder ein.
Ich drückte mich an die Tür, während ich angestrengt lauschte. Leise Schritte nackter Füße näherten sich mir. Sie kamen näher, immer näher …
Bleib ganz ruhig. Ruhig und gelassen …
Ich wartete, bis die Schritte nah genug waren, bevor ich die Tür mit aller Kraft aufstieß. Sie prallte gegen ein Hindernis, und jemand schrie vor Schmerz. Mit einem Schritt trat ich durch die Tür in die Kate. Ein paar Handbreit neben dem Eingang stand ein Junge, nackt wie ein neugeborenes Baby, und hielt sich die blutende Nase. Noch während er mich anglotzte, trat ich rasch hinter ihn und drückte ihm die Messerspitze an den Hals.
»Ein Wort, und ich schneide dir die Gurgel durch. Hände auf den Rücken!«
Er gehorchte zitternd. Er war hager und knochig und höchstens dreizehn Jahre alt. Er ließ sich die Hände mit einem Zügel auf den Rücken fesseln, widerstandslos, trotz seiner durch die vielen Stunden, die er die Stallungen ausgemistet hatte, kräftigen Arme. Er hätte mir erhebliche Schwierigkeiten machen können, wenn er gewollt hätte. Vermutlich war es derselbe unselige Stallknecht, der Zeuge des Hinterhalts der Inquisitoren geworden war.
In der Mitte der Kate hingen von krummen Deckenbalken zwei Hängematten. Eine war leer bis auf ein dunkles Gewand, das an einem Ende als Kopfkissen zusammengeballt war. In der anderen Hängematte lag ein korpulenter Mann, der die Augen geschlossen und den Mund weit aufgerissen hatte. Er schnarchte vor sich hin, und sein Wams, auf dessen Brust das Botenwappen prangte, hatte sich über seinem Bauch hochgeschoben. Er stank nach Samen und Wein, und in diesen Geruch mischte sich schwach ein anderer: der faulige, süßliche Gestank von menschlichen Exkrementen.
Ich schob meinen gefesselten Gefangenen zu der leeren Hängematte. Mein Messer schnitt in die zarte Haut am Hals des Jungen. Er zitterte wie Espenlaub. »Ganz ruhig. Kein Wort!«, befahl ich.
Mit einer Hand riss ich das zusammengerollte Gewand aus der Hängematte. »Rühr dich nicht!« Ich schob ihn mit dem Gesicht voran in die Hängematte und schnitt rasch einen Streifen Stoff von dem Gewand. »Ich werde dich jetzt knebeln.«
Jeden einzelnen Wirbel seines Rückgrats konnte ich sehen, so mager war er. Gleichzeitig bemerkte ich hässliche Striemen auf seinen Pobacken, als hätte jemand ihn gnadenlos durchgeprügelt. Auf seinem Rücken waren Bissspuren. Auf den Innenseiten seiner Oberschenkel klebte getrocknetes Blut. Er war es, der nach Samen und Exkrementen stank.
In dem Moment wurde mir klar, warum der Junge sich so bereitwillig ergeben hatte. Sein Verhalten hatte nichts mit Furcht zu tun oder dem, was er vierzehn Tage zuvor im Hof mit angesehen hatte. Er war es gewohnt, sich anderen zu fügen. Offenbar prügelten die anderen Stallburschen ihm unaufhörlich diese Unterwürfigkeit ein.
Ich hatte einen Bruder im Alter dieses Jünglings. Irgendwo.
»Wie heißt du?«, fragte ich leise.
»Ryn«, flüsterte er heiser.
»Ich werde dir nicht wehtun, Ryn, das verspreche ich dir. Ich mache
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