Das Gift der Drachen Drachen3
und Senken meiner Brust meine Drachenkuh aus dem Gleichgewicht bringen.
Sie bewegte sich. Die Schwingen hatte sie ausgebreitet wie eine Fledermaus am Boden, und die Klauen am Ende der beiden Flügelspitzen umklammerten schlanke Äste, die von dem Stamm unseres Baumes abgingen.
Wieder blitzte es.
Die Escoa bewegte sich erneut, zögernd, unbeholfen. Der dünne Ast, den sie in der linken Schwingenklaue hielt, brach. Wir sackten scharf zur Seite. Ich kreischte. Donner rollte.
Die Muskeln der Escoa traten deutlich hervor, als sie darum kämpfte, ihr Gleichgewicht auf dem dicken Ast zu halten. Sie schaffte es, verschob ihr Gewicht langsam nach hinten und ließ den rechten Ast ebenfalls los.
Nach einer kurzen Pause schlug sie ein paarmal mit ihren Schwingen, um den Regen abzuschütteln. Dann zog sie sie ein und faltete sie, so gut es ihr möglich war, über dem Rücken. Die nasse, ledrige Umarmung war mir sehr willkommen. Sie hielt mich sicherer im Sattel.
Dann hockte sich meine Escoa phlegmatisch auf den Ast, schüttelte das Wasser von ihrem pfeilspitzenförmigen Kopf und wartete.
Mir blieb nichts anderes übrig, als im Sattel zu kauern und mit ihr zu warten. Allmählich ließ der Regen nach, und das Rollen des Donners entfernte sich. Schließlich hörte es auf zu regnen. Es wurde Zeit, nach Savga zu suchen.
Ich aß hastig die Kadoob-Knolle auf, die ich sehr vorsichtig aus der Satteltasche gezogen hatte, um sie nicht zu verlieren. Tiwana-Tante hatte darauf bestanden, dass wir Nahrung mitnahmen, und jetzt war ich sehr dankbar für ihre Umsicht. Das rohe Gemüse quietschte an meinen Zähnen. Meine Escoa drehte den Hals wie eine Schlange und sah mich an, aber ich dachte nicht daran, ihr die Reste meiner Knolle zu geben. Diesen Fehler hatte ich kurz zuvor einmal begangen, und zwar mit einer ganzen Knolle. Sie hatte die Kadoob in ihrem Maul hin und her gerollt und sie dann fallen lassen. Entweder hatte sie sie für ungenießbar gehalten, oder sie konnte wegen der Schmerzen in ihren zerfetzten Nüstern, die von der Nasenhantel aufgerissen worden waren, nicht zubeißen. Die Knolle war in das Dschungeltal unter uns hinabgefallen und zwischen den grünen Blättern verschwunden.
Ich hatte keine Knolle fallen sehen. In meiner Vorstellung war es ein sechsjähriges Mädchen gewesen, das in den Tod stürzte.
Ich verschluckte mich an dem Rest meiner Mahlzeit. Meine Escoa warf mir noch einen vorwurfsvollen Blick zu und richtete dann ihre Augen verächtlich geradeaus.
Ich versuchte, nicht zu dem windgepeitschten Grün in der Tiefe zu blicken, als ich meinen Arm vorsichtig erst an einer, dann an der anderen Seite der Drachenkuh entlangschob und die Zügel aufnahm. Sie waren an dem provisorischen Halfter befestigt, das der Drachenmeister angefertigt hatte. Ich wusste allerdings nicht, ob die Escoa Befehlen gehorchte, die ich mittels dieses Halfters gab. Escoas sind darauf abgerichtet, auf den Zug einer Nasenhantel zu reagieren.
Ich wollte, dass sie weiterflog. Sie wollte ausruhen. Ich wollte von diesem gefährlichen Standort verschwinden. Sie wollte bleiben. Ich rammte ihr meine Hacken in das Rückgrat, immer und immer wieder, bis sie schließlich die Schwingen ausbreitete und in die Luft sprang.
Einen Moment durchzuckte mich das erschreckende Gefühl des freien Falls, bevor die Drachenkuh ein paarmal träge mit den Schwingen schlug und dann ruhig durch die Luft glitt.
Der Dschungel unter mir leuchtete in Jade-und anderen Grüntönen, wogte in dem hügeligen Tal wie Wellen im Ozean. Ich zitterte krampfhaft im kalten Wind.
»Savga!«, brüllte ich. »Ryn!«
Ich wollte tiefer gehen, aber wie gab man einer Escoa den Befehl, zu sinken? Sollte ich die Knie vordrücken? Oder an den Zügeln ziehen? Wie konnte ich sie überhaupt in die eine oder andere Richtung lenken?
Ein Farbfleck schimmerte neben mir in der Luft, dunkelgrün und rostrot. Ein Drache. Mein Herz tat einige aufgeregte Schläge vor Freude, doch im nächsten Moment sank mir der Mut. Der Drache war reiterlos.
Bitte, lass Savga nicht …
Ich betete, dass es die Escoa war, die hinter mir angebunden gewesen war. Immer und immer wieder betete ich, bittebittebitte , während mir Bilder von Savgas zerschmettertem reglosem Körper durch den Kopf schossen, wie er weich wie Pudding auf einer Baumkrone lag. Die Bilder waren von einer derart schrecklichen Deutlichkeit, dass ich fürchtete, ich hätte ein Vision von etwas, was wirklich passiert war.
Mein Drache sank weiter.
Vor
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