Das Gift der Engel
beschäftigt, seine Sachen an den Mann zu bringen, und am Wochenende muss man sehen, dass Neues hereinkommt. Dazu muss man alles katalogisieren, ständig seine Kenntnisse über Bücher und alte Drucke erweitern. Man darf keinen Fehler machen, wenn man Preise kalkuliert. Dagmar wurde das zu viel.«
Dennekamp griff neben sich, holte von irgendwoher eine Bierflasche hervor und öffnete sie routiniert mit einem Feuerzeug, das auf dem Tisch gelegen hatte. »Meine Geschäfte liefen mies. Laufen sie immer noch. Keine Ahnung, wo das hinführen soll. Dagmar hat sich darum nicht geschert. Erst hat sie alle Tage nur noch damit zugebracht, Notizbücher vollzuschreiben. Dann hat sie mich verlassen. Einfach weg. Ich wusste erst nicht, wohin sie gegangen war. Sie hat nicht einmal einen Abschiedsbrief geschrieben.«
»Wann war das?«
»Vor einem Jahr. Ich musste mich bei ihren Freundinnen erkundigen, ob die vielleicht wussten, was aus ihr geworden war.«
»Welche Freundinnen?«
Dennekamp trank einen Schluck und stellte die halb volle Bierflasche auf dem nächstbesten Papierstapel ab.
»Dagmar besuchte damals schon seit längerer Zeit einen Frauenschreibklub, so eine Dichterinnenrunde. Die trafen sich einmal im Monat. Immer am ersten Sonntag. Ich habe mal was von denen verlegt, aber das war nichts.«
»Dichten die Damen nicht gut genug?«
»Ich konnte es mir nicht leisten, die ganzen Kosten zu übernehmen. Als ich ihnen dann alles vorrechnete, da hätten sie mal erleben sollen, wie die über mich hergefallen sind. Ich konnte froh sein, dass ich lebend aus diesem Emanzendichterinnentreff rauskam … Die hatten tatsächlich geglaubt, das dicke Geld mit ihren Gedichten zu machen. Stellten mich als Abzocker hin. Nach dem Ärger habe ich dann ›Mondschatten‹ herausgebracht. Auf meine Kosten natürlich. Aber verkauft hat es sich nicht. Es hat mir eher finanziell den Rest gegeben.«
»Wie viele Exemplare haben Sie denn davon drucken lassen?«
»Tausend.«
»Und wie viele wurden verkauft?«
»Nicht mal dreißig.«
»In welchen Buchhandlungen war das Buch zu bekommen?«
Dennekamp grinste gequält. »In gar keiner. Wenn Sie als kleiner, unbekannter Verlag keinen Mindestumsatz mit dem Handel machen, stellen die kein einziges Buch von Ihnen ins Regal.«
Alban nickte. Wie war Dr. Joch dann an dieses Buch gekommen?
»Mit der Pressearbeit ist es genau dasselbe«, redete Dennekamp weiter. »Es ist schwierig, eine Zeitungsrezension oder so was zu bekommen.«
Das Rätsel steigert sich, dachte Alban. Woher hatte Joch von der Existenz des Buches gewusst?
»Das Ganze ist schiefgegangen. Dagmar ging weg. Sie nahm sich eine Wohnung in Erpel, in diesem abgelegenen Rheinkaff.«
»Warum gerade dort?«
»Fragen Sie mich nicht. Das heißt – eigentlich kann ich es mir denken. Sie hatte ein Faible für die Rheinromantik. Das Flusstal, Burgen, Schlösser und all so was. Wenn sie es sich hätte leisten können, wäre sie auf ein Schloss gezogen.«
»Wovon hat sie denn gelebt? Hat sie in Erpel eine Arbeitsstelle gefunden? Oder haben Sie sie unterstützt?«
»Eine Arbeitsstelle?« Er schüttelte den Kopf, stand auf und ging schwankend ein paar Schritte. Alban war es unangenehm, mitanzusehen, wie sich dieser Mensch nach und nach betrank. Aber was konnte er dagegen tun?
Er hörte den Antiquar nebenan herumstöbern. Schließlich kehrte er mit einem Stapel Notizbücher zurück. Es waren schwarze Chinakladden, aber auch einfache Collegeblöcke mit Spiralbindung. Dennekamp ließ sie auf den ohnehin überfüllten Schreibtisch rutschen.
»Das habe ich bekommen, nachdem meine Frau tot war, und davon gibt es noch eine ganze Menge mehr. Sie hat den ganzen Tag nichts anderes getan, als zu schreiben. Nachts hat sie sich rumgetrieben, so hat es zumindest die Polizei herausgefunden, und dann hat sie geschrieben, geschrieben, geschrieben. Eine Art lyrisches Tagebuch. Ihre ganze Welt hat sie in Worte gefasst. In Worte, die niemand außer ihr versteht. Und gelebt hat sie«, Dennekamp leerte die Bierflasche in einem Zug, »von dem Geld, das sie von ihren Eltern hatte.« Er musste aufstoßen. »Sie hat was geerbt. Nicht so viel, dass man sie als reich hätte bezeichnen können, aber doch genug, um sich über Wasser zu halten. Und davon hat sie ihre Wohnung in Erpel bezahlt und ihre Blöcke und Notizbücher und Stifte. Was glauben Sie, warum mich die Polizei sofort auf dem Kieker hatte, als Dagmar am Rhein gefunden wurde? Ich konnte das Geld gut
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