Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
niemanden, der ihm Referenzen geben könnte, er hat sich noch nie in einem modernen Büro aufgehalten, geschweige denn darin gearbeitet, und außerdem lauert da immer das Gespenst eines polizeilichen Führungszeugnisses, das bei bestimmten Jobs angefordert werden würde.
Um das Thema zu wechseln, erzähle ich die Geschichte von Daves Verhaftung, aber natürlich lasse ich dabei aus, dass ich auf allen vieren in meinem Zimmer gekauert habe, weil ich Angst um meine eigene Freiheit hatte.
» Sie wissen, warum das passiert ist, oder?«, sagt Andrew. » Sie liegen um Wochen hinter ihrem Zeitplan zurück. Jetzt ist ihnen jeder alte Hilfsarbeiter recht, wenn sie nur ihre Deadline noch schaffen. Die Polen müssen wirklich verzweifelt sein, wenn sie jetzt anfangen, Engländer einzustellen.« Er lacht über seinen eigenen Witz.
» Sie haben angefangen, nachts zu arbeiten«, sage ich. » Das Flutlicht scheint direkt in Alices Zimmer. Sie kann nicht schlafen.«
» Diese Baustelle ist eine Schande«, sagt Dawn. » Wir sind neulich daran vorbeigefahren, nicht wahr, Andrew? Überall kletterten Kinder herum. Kein Wachmann, nichts. Da sind klaffende Löcher im Boden, fünf Meter tief und voll mit nassem Beton. Und nichts, was verhindert, dass die Kinder hineinfallen. Bei dem bloßen Gedanken läuft es mir eiskalt über den Rücken.« Und sie erbebt in einem theatralischen Schauder.
» Das hat man davon, wenn man Ausländer beschäftigt«, sagt Andrew fachmännisch. Das Gespräch wendet sich der gefühlten Immigrantenplage an der Küste von Suffolk zu, und die Hitze im Esszimmer wird unerträglich. Ich bin froh, als der Kaffee serviert wird, in Porzellantassen mit Goldrand.
Alice bettelt darum, bei Sophie übernachten zu dürfen. Zumindest können Rex und ich auf diese Weise zu Fuß nach Hause gehen, ohne dass eine übermüdete Neunjährige uns auf die Nerven geht. Ich schließe den Wagen auf– nicht, weil ich fahren will, sondern um meine Wanderschuhe aus dem Fußraum vor dem Beifahrersitz zu angeln. Schon als Studentin hatte ich immer mindestens ein Paar Ersatzschuhe im Auto. Diese Gewohnheit stammt noch aus der Zeit, als ich regelmäßig unmittelbar nach dem Tennis ausging, und nach allem, was passiert war, hatte sich daraus eine Art Aberglaube entwickelt, als müsste ich bereit sein, jeden Augenblick die Flucht zu ergreifen. Die Wanderschuhe sehen lächerlich aus: braune, klobige Klötze am Ende meiner schwarz bestrumpften Beine, aber das macht mir nichts aus.
Der kalte Hauch der Nachtluft ist eine Erleichterung nach dem Kaminfeuer, und unsere Taschenlampe reißt eine Schneise in die marineblaue Nacht. Rex dreht die Lampe nach oben und lässt den Lichtstrahl eines Suchscheinwerfers durch den Himmel wandern, bevor er wieder auf die Straße vor uns leuchtet.
» Komisch, bevor ich hier herausgekommen bin, hab ich immer gedacht, auf dem Land braucht man keine Taschenlampe«, sagt er. Seine Stimme klingt schwerfällig vom Wein. » Ich hab gedacht, alles ist hell vom Mondlicht.« Er knipst die Lampe für ein paar Augenblicke aus. » Aber das ist die absolute Dunkelheit hier, oder? Im Wald wurde es nie so dunkel. Nie.«
» Das stimmt nicht ganz. Nach einer Weile lernt man schon, im Dunkeln etwas zu sehen.« Zum Beweis schalte ich die Lampe aus, als wir zu der Siedlung zwischen Dawn Saunders’ und unserem Haus kommen. Drei Straßenlaternen beleuchten hier die Kreuzung. Als wir den orangegelben Lichtkreis hinter uns gelassen haben, sind unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Die hohen Wälle aus Ginster und Brombeeren rechts und links neben der Straße heben sich ab vom Grau des Asphalts und des Himmels.
Ich bitte Rex, hinter mir zu gehen; scherzhaft sage ich, wenn aus dem Nichts ein Auto angerast kommt, soll es ihn als Ersten erwischen. Aber das ist nicht der wahre Grund. Die Euphorie, die ich empfunden habe, als die Polizei mit Dave wegfuhr, ist verflogen, und die vertraute Angst ist wieder da. Ich bilde mir ein, dass in unserem leeren Haus den ganzen Abend das Telefon geklingelt hat. Das elektrische Trillern hallt mir beim Gehen in den Ohren. War heute der Abend, an dem der Anrufer oder die Anruferin sich mir zu erkennen gegeben hätte? Meine Beklommenheit wächst mit jedem Tag, der vergeht. Selbst um ein Uhr nachts auf einer verlassenen Landstraße mitten im Nirgendwo kann ich das unheimliche Gefühl nicht abschütteln, dass ich verfolgt werde. Wenn Rex hinter mir geht, weiß ich zumindest, dass mir wirklich jemand folgt,
Weitere Kostenlose Bücher