Das gläserne Tor
lachten die … Birnen weit und breit …«
»Was?«
»Da sagte von … Ribbeck: ›Ich scheide nun ab. Legt mir eine Birne mit ins Grab!‹ Und drei Tage drauf, aus dem … Doppeldachhaus, trugen von Ribbeck sie hinaus.«
»Bei Inar, was sind das für fremdartige Laute?«, schrie Mallayur schmerzhaft in sein Ohr. »Bist du von Sinnen?«
»Alle Bauern und Bündner mit Feiergesicht sangen ›Jesus meine Zuversicht!‹ Und die Kinder klagten, das Herze schwer: ›He is dod nu. Wer givt uns nu ne Beer?‹ So klagten die Kinder. Das war nicht recht – ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht! Der neue freilich, der knausert und spart, hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.«
»Er ist wahnsinnig!«
Nicht ich, dachte Anschar. Es war sein einziger klarer Gedanke, während er die ungewohnten Worte ausstieß, immer wieder und wieder. Er hörte erst auf, als Mallayur seinen Kopf an den Haaren hochriss und drehte, sodass er ihn ansehen musste. Die wütenden Augen seines Herrn schwebten nur eine Handbreit vor ihm.
»Hör auf! Verdammt, du willst mir den Verrückten vorspielen, aber glaubst du, ich falle darauf herein?« Mallayur ließ ihn wieder los und versank in Schweigen. »Das ist ihre Sprache«, sagte er plötzlich. »Ihr Götter! Du hast dir Wörter in ihrer Sprache beibringen lassen. Sie bedeutet dir etwas, und genau das hindert dich am Reden.«
Anschar schwieg.
»Mir scheint, jetzt erinnerst du dich. Nun, geben wir dir ein Weile zum Nachdenken. Nicht dass sich deine Erinnerungen verflüchtigen.«
Mallayur verließ den Raum, gefolgt von den Schergen. Die Tür fiel zu. Anschar blieb allein zurück, allein mit seinem Keuchen, dem Plätschern des Wassers, das aus seinen Haaren ins Becken rann, und seinen Gedanken.
Ja, jetzt erinnerte er sich. An Grazias nasses Gewand, als hätte sie sich Wasser übergeschüttet. Er hatte sie wegen dieser Dummheit ohrfeigen wollen, aber nur gefragt, ob sie sich eingenässt habe, damit sie es bleiben ließ. Für solche Spielchen
war das Wasser zu kostbar, denn wer mochte wissen, ob der nächste Bachlauf nicht eingetrocknet war? Aber das war nicht alles, wie ihm jetzt auffiel. Wann hatte er gesehen, wie sie trank? Nur wenn er ihr einen Wasserbeutel gegeben hatte, und auch dann nur ein paar Schlucke.
Er war nicht auf den Gedanken gekommen, dass sie ihren Wasserbedarf auf eigene Weise deckte. Dass sie sich Wasser machen konnte. Verständlich, dass Mallayur sich darauf versteifte, sie sei eine Nihaye. Aber er wusste nichts von all den anderen wunderlichen Dingen. Nichts von Bildnissen, die Menschen einfingen. Nichts von Eisen und Lichtkugeln und dampfenden Kesseln, die Schiffe vorwärtstrieben. Womöglich besaß jeder Preuße Grazias Fähigkeit.
Aber warum hatte sie nichts davon gesagt? Warum ihm nicht vertraut? Ohne sie wäre Anschar in der Wüste verreckt, und ohne ihn wäre sie nicht von dort entkommen. War das nicht eine ausreichende Grundlage, einander zu vertrauen?
Was erwartest du denn?, schalt er sich. Hast du ihr gesagt, dass du ein Sklave bist?
Dennoch, die Enttäuschung blieb. Ein schales Gefühl, das ihn für einen winzigen Moment vergessen ließ, wo er sich befand. Als die Tür aufschwang und sich die Männer näherten, ging ein Ruck durch seinen Körper.
»Nun, hast du dich besonnen?«
»Ja, Herr.«
»Gut. Ich höre.«
»Ich habe nichts zu sagen.«
Schwer seufzte Mallayur auf und gab den Wächtern einen Wink. Das Brett senkte sich ins Wasser.
9
G razia öffnete die Kleidertruhe, die Fidya ihr gebracht hatte. Wie sie befürchtet hatte, fanden sich lauter Gewänder darin, die sie unmöglich tragen konnte – viel zu durchsichtig und knapp geschnitten. Nur ein ockerfarbenes Kleid erschien ihr brauchbar, es war verhältnismäßig dicht gewebt und reichte bis zum Boden. Im Gegenlicht würde sich allerdings auch hier ihre Silhouette erkennen lassen, und von den Knien abwärts klaffte ein Spalt.
So konnte sie unmöglich herumlaufen. Sie bat Henon, Nähzeug zu bringen. Seinen Einwand, dass sie im Begriff war, Sklavenarbeit zu tun, ignorierte sie. Schnell hatte sie den Schlitz zugenäht und sie begab sich ins Bad, dessen Eingang inzwischen mit einem dicken Tuch verhängt war.
Tief atmete sie auf, als sie aus ihrem Kleid heraus war. Es war für diese Gegend wirklich zu warm. Ihr Unterzeug, das die Sklaven inzwischen gewaschen hatten, behielt sie an. Sie schlüpfte in das ockerfarbene Trägerkleid, das sich eng an ihren Körper schmiegte. Um die Schultern legte
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