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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sie nannte, besaß gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts ein großes Stück Land in der Vorstadt, hinter dem ehemaligen Saint MittreFriedhof. Später wurde dieses Grundstück mit dem JasMeiffren vereinigt. Die Fouques waren die reichsten Gemüsegärtner der Gegend; sie belieferten ein ganzes Viertel von Plassans. Wenige Jahre vor der Revolution erlosch der Name dieser Familie. Eine einzige Tochter blieb übrig, Adélaïde, geboren 1768 und mit achtzehn Jahren Waise. Dieses Mädchen, dessen Vater im Wahnsinn starb, war ein großes, schmächtiges, bleiches Geschöpf mit verstörten Augen und seltsamem Betragen, das man, solange das Kind noch klein war, für menschenscheu halten konnte. Doch Adélaïde wurde, als sie heranwuchs, noch sonderbarer; sie tat allerlei Dinge, für die auch die gescheitesten Köpfe in der Vorstadt keine vernünftige Erklärung fanden, und seitdem lief das Gerücht, sie sei, wie ihr Vater, nicht ganz richtig im Kopf. Sie stand allein im Leben und war seit kaum sechs Monaten Besitzerin eines Vermögens, das sie zu einer umworbenen Erbin machte, als man von ihrer Heirat mit einem Gärtnerburschen erfuhr, einem gewissen Rougon, einem ungehobelten Bauern aus dem Departement BassesAlpes20. Dieser Rougon war nach dem Tode des Letzten der Fouques, der ihn als Saisonarbeiter eingestellt hatte, im Dienst der Tochter des Verstorbenen geblieben. Vom Lohnarbeiter stieg er bei ihr plötzlich zur beneideten Stellung eines Ehemannes auf. Diese Heirat war die erste Überraschung für die öffentliche Meinung; niemand konnte begreifen, warum Adélaïde diesen armen Teufel, diesen ungelenken, schwerfälligen, gewöhnlichen Bauern, der kaum französisch sprechen konnte, dem oder jenem der jungen Leute, Söhnen wohlhabender Landwirte, vorzog, die schon lange um sie herumstrichen. Und da in der Provinz nichts ungeklärt bleiben darf, wollte man hinter dieser Geschichte durchaus irgendein Geheimnis wittern. Man behauptete sogar, die Heirat der beiden sei unbedingt notwendig geworden. Doch die Tatsachen widerlegten diese Verleumdungen: erst nach einem guten Jahr bekam Adélaïde einen Sohn. Das verdroß die Vorstadt; sie konnte ihren Irrtum nicht zugeben und wollte das angebliche Geheimnis ergründen. Deshalb machten sich alle Klatschbasen daran, die Rougons zu belauern. Bald hatten sie reichlich Stoff zum Klatschen. Rougon starb ganz plötzlich, fünfzehn Monate nach der Hochzeit, an einem Sonnenstich, den er sich eines Nachmittags beim Jäten eines Mohrrübenfeldes zuzog. Kaum ein Jahr war verflossen, als die junge Witwe ein unerhörtes Ärgernis gab: Man erfuhr auf sicherem Wege, daß sie einen Liebhaber hatte. Sie schien kein Hehl daraus zu machen. Mehrere Leute versicherten, gehört zu haben, wie sie den Nachfolger des armen Rougon in aller Öffentlichkeit duzte! Ein knappes Jahr Witwenschaft und schon einen Liebhaber! Eine derartige Mißachtung aller Schicklichkeit schien ungeheuerlich und jenseits aller gesunden Vernunft. Was den Skandal noch ärger machte, war die sonderbare Wahl, die Adélaïde getroffen hatte. Ganz hinten in der Saint MittreSackgasse, in einem alten Häuschen, dessen Rückseite auf das Grundstück der Fouques hinausging, wohnte damals ein übelbeleumdeter Mann, auf den man die Bezeichnung »dieser Lump Macquart« anzuwenden pflegte. Dieser Mensch verschwand oft wochenlang. Dann sah man ihn eines schönen Abends ohne irgendwelches Gepäck, die Hände in den Hosentaschen, wieder auftauchen. Pfeifend schlenderte er dahin, als käme er gerade von einem kleinen Spaziergang zurück. Und die Weiber, die auf den Schwellen ihrer Haustüren saßen, sagten dann wohl: »Seht doch! Da geht dieser Lump Macquart! Er wird seine Warenballen und seine Flinte in irgendeiner Höhle an der Viorne versteckt haben.« Tatsache war, daß Macquart kein laufendes Einkommen hatte und daß er während seiner kurzen Aufenthalte in der Stadt wie ein glücklicher Nichtstuer aß und trank. Vor allem war er wie wild aufs Trinken erpicht. Allein an einem Tisch ganz hinten in der Wirtschaft, vergaß er sich Abend für Abend, stierte blöde in sein Glas und sah und hörte nichts von dem, was um ihn her vorging. Und wenn dann der Schankwirt die Tür schloß, ging Macquart festen Schrittes und hocherhobenen Hauptes hinaus, als habe ihn die Trunkenheit aufgerichtet. »Macquart hält sich schön gerade, er ist stockbesoffen!« hieß es, wenn man ihn so heimkehren sah. Hatte er nicht getrunken, so ging er gewöhnlich leicht

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