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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Mutter zur Zielscheibe ihrer Bosheiten machten. Sie schwänzten regelmäßig fünf oder sechsmal in der Woche die Schule und taten, was sie konnten, um sich eine Strafe zuzuziehen, die ihnen berechtigten Anlaß gab, nach Herzenslust zu brüllen. Aber Adélaïde prügelte ihre Kinder nie, wurde nicht einmal heftig; sie lebte behaglich mitten in diesem Lärm, lässig, sanftmütig, müßigen Geistes. Mit der Zeit wurde das abscheuliche Gepolter dieser Schlingel der Mutter sogar zum Bedürfnis, um die Leere ihres Gehirns auszufüllen. Sie lächelte mild, wenn sie die Leute sagen hörte: »Der ihre Kinder werden sie noch schlagen, und damit geschähe ihr ganz recht!« Auf alles schien ihre gleichgültige Haltung zu antworten: Was macht das schon? Um ihr Hab und Gut kümmerte sie sich noch weniger als um ihre Kinder. Das Fouquesche Anwesen wäre während der langen Jahre dieses eigentümlichen Lebens verwahrlost, hätte die junge Frau nicht die günstige Gelegenheit gehabt, ihr Gemüseland einem geschickten Gärtner anzuvertrauen. Allerdings bestahl sie dieser Mann, der den Ertrag des Gartens mit ihr teilen sollte, in schamloser Weise, aber sie merkte es nicht. Die Sache hatte übrigens auch ihre gute Seite: um seine Brotgeberin noch besser bestehlen zu können, nutzte der Gemüsegärtner das Gelände so gut wie möglich aus, wodurch sich dessen Wert nahezu verdoppelte.
    Sei es, daß ein geheimer Instinkt in ihm sprach, sei es, daß ihm bereits bewußt war, in wie anderer Art die Außenwelt ihm entgegenkam – jedenfalls beherrschte Pierre, der rechtmäßige Sohn, schon von klein auf Bruder und Schwester. Obwohl er sehr viel schwächer war als Antoine, verprügelte er diesen, wenn sie in Streit gerieten, in überlegener Weise. Was Ursule, ein armes schwächliches bleiches Geschöpfchen, betrifft, so wurde sie von beiden gleich roh geschlagen. Bis zum Alter von fünfzehn oder sechzehn Jahren prügelten sich die drei Kinder übrigens ganz geschwisterlich, ohne sich über ihre unbestimmten Haßgefühle klar zu sein, ohne deutlich zu verstehen, wie sehr sie sich fremd waren. Erst in diesem Alter traten sie einander als bewußte und geprägte Wesen gegenüber.
    Mit sechzehn Jahren war Antoine ein langer Schlingel, in dem sich Macquarts und Adélaïdes Charakterfehler schon nahezu verschmolzen zeigten. Indessen lebte Macquart mit seinem Hang zum Herumstreifen, seiner Neigung zur Trunksucht, seinem brutalen Jähzorn stärker in dem Jungen. Aber unter dem nervösen Einschlag Adélaïdes paarten sich diese Laster, die beim Vater von einer Art heißblütiger Ehrlichkeit waren, beim Sohn mit tückischer und feiger Heuchelei. Der Sohn seiner Mutter war Antoine durch seinen vollständigen Mangel an Willen und Würde, durch eine weiblichwollüstige Selbstsucht, die ihm jegliches Bett der Schande recht sein ließ, wenn er sich nur bequem darin wälzen und warm darin schlafen konnte. Man sagte von ihm: »Oh, dieser Schuft! Er hat nicht einmal wie Macquart den Mut zu seiner Lumperei. Wenn er jemals einen Mord begeht, wird er es mit Stecknadelstichen tun.« In seinem Äußeren hatte er von Adélaïde nur die vollen Lippen; seine anderen Züge waren die des Schmugglers, aber gemildert, verschwommen und unbeständig.
    Im Gegensatz dazu überwog bei Ursule die körperliche und geistige Ähnlichkeit mit der jungen Frau. Zwar stellte auch sie eine innige Mischung dar; nur schien die arme Kleine, als zweites Kind zu einer Zeit geboren, da die Liebe Adélaïdes stärker war als die bereits ruhiger gewordene Neigung Macquarts, zusammen mit dem Geschlecht auch tiefere Spuren der mütterlichen Wesensart mitbekommen zu haben. Außerdem handelte es sich hier weniger um eine Verschmelzung zweier Naturen als vielmehr um ein Nebeneinander, eine ungewöhnlich enge Verlötung. Ursule, eine wunderliche kleine Person, zeigte zuweilen die Menschenscheu, die Traurigkeit und den Jähzorn einer Ausgestoßenen; dann brach sie meistens in ein nervöses Gelächter aus oder träumte willenlos vor sich hin wie eine Frau, bei der in Herz und Hirn etwas nicht stimmt. Ihre Augen, die mitunter den gleichen verstörten Blick wie die Adélaïdes hatten, waren von kristallener Durchsichtigkeit, ähnlich denen junger Katzen, die an Schwindsucht eingehen.
    Diesen unehelichen Kindern gegenüber wirkte Pierre wie ein Fremder; für den, der nicht bis zu den Wurzeln seines Wesens vordrang, unterschied er sich zutiefst von den beiden andern. Niemals noch war ein Kind in diesem

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