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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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gebückt und wich neugierigen Blicken mit einer Art scheuer Schüchternheit aus. Seit dem Tode seines Vaters, eines Gerbers, der ihm als einzige Erbschaft das elende Häuschen in der SaintMittreSackgasse hinterlassen hatte, war niemandem ein Verwandter oder Freund von ihm bekannt. Die Nähe der Grenzen und die Nachbarschaft der SeilleWälder machten aus diesem faulen und seltsamen Burschen einen Schmuggler und Wilddieb, einen jener verdächtig aussehenden Kerle, von denen die Vorübergehenden sagten: »Dem möchte ich nicht um Mitternacht am Waldrand begegnen!« Groß, mit einem furchtbaren Bart und einem mageren Gesicht, war Macquart der Schrecken aller alten Vorstadtweiber; sie beschuldigten ihn, kleine Kinder in völlig rohem Zustand aufzufressen. Kaum dreißigjährig, sah er aus wie fünfzig. Zwischen dem Gestrüpp seines Bartes und den Locken, die ihm ins Gesicht hingen wie die Fellzotteln einem Pudel, gewahrte man nur das Schimmern seiner braunen Augen, den verstohlenen und traurigen Blick eines unsteten Triebmenschen, den der Wein und das Pariadasein schlecht gemacht haben. Obgleich man ihm kein bestimmtes Verbrechen nachweisen konnte, geschah doch kein Diebstahl, kein Mord im Lande, ohne daß der erste Verdacht auf Macquart gefallen wäre. Und diesen Menschenfresser, diesen Straßenräuber, diesen Lumpen Macquart hatte Adélaïde erwählt! Binnen zwanzig Monaten gebar sie zwei Kinder, einen Jungen, dann ein Mädchen. Von einer Heirat zwischen ihnen war keinen Augenblick die Rede. Niemals noch hatte die Vorstadt einen so frechen Verstoß gegen die guten Sitten gesehen. Die Verblüffung war so groß, der Gedanke, daß Macquart eine junge und reiche Geliebte hatte finden können, erschütterte so sehr den Glauben aller Klatschbasen, daß es sie Adélaïde gegenüber fast milde stimmte.
    »Die Arme! Sie ist völlig verrückt geworden«, sagten sie. »Wenn eine Familie da wäre, hätte man sie längst eingesperrt.« Und da die Geschichte dieser seltsamen Liebschaft weiterhin unbekannt blieb, wurde wieder einmal dieser Lump Macquart beschuldigt, den Schwachsinn Adélaïdes ausgenutzt zu haben, um ihr Vermögen an sich zu bringen.
    Der eheliche Sohn, der kleine Pierre Rougon, wuchs zusammen mit den unehelichen Kindern seiner Mutter auf. Diese, Antoine und Ursule – die »Wolfsjungen«, wie man sie im Stadtviertel nannte –, behielt Adélaïde bei sich, ohne sie übrigens liebevoller oder weniger liebevoll zu behandeln als ihr eheliches Kind. Sie schien keine klare Vorstellung von der Lage zu haben, die den beiden armen Geschöpfen im Leben bevorstand. Für sie waren es genauso ihre Kinder wie der Erstgeborene; manchmal ging sie aus, Pierre an der einen, Antoine an der anderen Hand, ohne zu bemerken, wie grundverschieden man bereits die lieben Kleinen betrachtete.
    Es war ein merkwürdiges Haus.
    Fast zwanzig Jahre lang lebte hier jeder, wie es ihm gerade einfiel, die Kinder wie die Mutter. Alles wuchs unbehindert. Auch als Frau war Adélaïde das wunderliche große Mädchen geblieben, das mit fünfzehn Jahren für menschenscheu gegolten hatte. Zwar war sie keineswegs verrückt, wie das die Leute aus der Vorstadt behaupteten, aber es bestand bei ihr ein Mangel an Gleichgewicht zwischen Blut und Nerven und eine Art Zerrüttung von Denken und Fühlen, die dazu führten, daß sie, außerhalb des normalen Lebens, anders als alle übrigen lebte. Von sich aus gesehen, handelte sie bestimmt sehr natürlich und folgerichtig, nur war ihre Logik in den Augen der Nachbarn der reine Wahnsinn. Es schien, als wolle sie von sich reden machen, als ziele sie mutwillig darauf ab, daß sich alles bei ihr zu Hause immer schlimmer gestalte, und dabei gehorchte sie mit großer Unbefangenheit einzig den Aufwallungen ihres Temperaments.
    Seit ihrem ersten Wochenbett litt sie an Nervenanfällen mit fürchterlichen Krampfzuständen. Solche Krisen wiederholten sich regelmäßig alle zwei oder drei Monate. Die zu Rate gezogenen Ärzte behaupteten, dagegen lasse sich nichts machen, mit zunehmendem Alter würden sich diese Anfälle legen. Man verschrieb ihr lediglich eine Diätkost aus halb durchgebratenem Fleisch und Chinawein. Diese häufigen Krämpfe zerrütteten sie vollends. Sie lebte in den Tag hinein wie ein Kind, wie ein schmeichlerisches Tier, das nur seinen Instinkten folgt. War Macquart unterwegs, so brachte sie ihre Tage in müßigen Träumereien zu und beschäftigte sich mit ihren Kindern nur insoweit, als sie sie küßte und mit

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