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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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ihnen spielte. Kaum aber war ihr Liebhaber wieder zurück, so verschwand sie.
    Hinter Macquarts Häuschen lag ein kleiner Hof, den eine Mauer vom Grundstück der Fouques trennte. Eines Morgens sahen die Nachbarn zu ihrer Überraschung, daß in dieser Mauer eine Tür war, die am Abend zuvor noch nicht vorhanden gewesen. Binnen einer Stunde defilierte die gesamte Vorstadt hinter den benachbarten Fenstern vorbei. Das Liebespaar mußte die ganze Nacht gearbeitet haben, um den Durchbruch zu schaffen und die Tür einzusetzen. Jetzt konnten sie einander ungehindert besuchen. Der Skandal begann von neuem. Diesmal hatte man weniger Nachsicht mit Adélaïde, die wahrhaftig zur Schande der Vorstadt geworden war; diese Tür, dieses kaltblütige und brutale Eingeständnis gemeinsamen Lebens, warf man ihr heftiger vor als ihre beiden unehelichen Kinder. »Man muß doch wenigstens den Schein wahren«, meinten die duldsamsten Frauen. Adélaïde wußte nicht, was es heißt, »den Schein wahren«; sie war sehr glücklich und sehr stolz auf ihre Tür. Sie hatte Macquart geholfen, die Steine aus der Mauer zu brechen; sie hatte ihm sogar Gips angerührt, damit die Arbeit schneller vonstatten ging. So erschien sie denn am andern Morgen voll kindlicher Freude, um sich ihr Werk bei hellichtem Tage anzusehen, was drei Klatschbasen, die Adélaïde dabei trafen, als sie das noch frische Mauerwerk betrachtete, als Gipfel der Schamlosigkeit erschien. Von nun an hieß es, sobald Macquart auftauchte und man die junge Frau nicht mehr sah, sie lebe mit ihm in dem Häuschen in der SaintMittreSackgasse.
    Der Schmuggler kam sehr unregelmäßig und beinahe immer unverhofft nach Hause. Nie konnte man genau erfahren, wie das Paar während der zwei oder drei Tage, die er von Zeit zu Zeit in der Stadt verbrachte, eigentlich lebte. Sie schlossen sich ein, und das Häuschen schien unbewohnt. Da die Vorstadt es als ausgemacht ansah, daß Macquart Adélaïde lediglich deshalb verführt habe, um ihr Vermögen durchzubringen, war man erstaunt, daß der Mann genauso lebte wie zuvor, ständig über Berg und Tal lief und ebenso schlecht gekleidet ging wie früher. Vielleicht liebte ihn die junge Frau um so mehr, in je längeren Abständen sie ihn zu Gesicht bekam; vielleicht hatte er bei seinem unabweislichen Bedürfnis nach einem abenteuerlichen Dasein ihren Bitten widerstanden. Man erdichtete sich tausend Fabeln, ohne eine genügende Erklärung für ein Verhältnis zu finden, das im Widerspruch zu allen Gepflogenheiten geknüpft worden war und andauerte. Die Wohnung im SaintMittreGäßchen blieb hermetisch verschlossen und wahrte ihre Geheimnisse. Man erriet nur, daß Macquart Adélaïde wahrscheinlich schlug, wenn auch niemals der Lärm eines Streites aus dem Hause drang. Mehrmals erschien sie mit zerkratztem Gesicht und zerzaustem Haar. Übrigens wirkte sie durchaus nicht so, als sei sie durch Leiden oder Traurigkeit niedergeschlagen, und machte nicht den leisesten Versuch, ihre Verletzungen zu verbergen. Sie lächelte und schien glücklich zu sein; sicher ließ sie sich halbtot prügeln, ohne den Mund aufzutun. Länger als fünfzehn Jahre dauerte dieses Leben.
    Wenn Adélaïde nach Hause kam, fand sie den ganzen Haushalt auf den Kopf gestellt, worüber sie sich nicht im geringsten aufregte. Es fehlte ihr vollkommen jeder praktische Sinn fürs Leben. Den eigentlichen Wert der Dinge, die Notwendigkeit von Ordnung vermochte sie nicht zu begreifen.
    Sie ließ ihre Kinder heranwachsen wie die Pflaumenbäume an den Wegrändern, wie es Regen und Sonnenschein gefiel. Sie trugen ihre natürlichen Früchte als Wildlinge, die nie ein Messer gepfropft oder beschnitten hat. Niemals wurde die Natur weniger behindert, niemals wuchsen bösartige kleine Geschöpfe freier in Übereinstimmung mit ihren Trieben auf. Sie wälzten sich auf den Gemüsebeeten, verbrachten ihr Leben im Freien, spielten und prügelten sich wie rechte Taugenichtse. Sie stahlen die Vorräte im Haus, plünderten die wenigen Obstbäume des Anwesens, sie waren die zerstörenden und lärmenden Hauskobolde dieser seltsamen Behausung hellen Wahnsinns; wenn ihre Mutter für ganze Tage verschwand, vollführten sie einen derartigen Radau und verfielen auf so teuflische Dinge, um die Leute zu belästigen, daß ihnen die Nachbarn oft mit der Peitsche drohen mußten. Vor Adélaïde hatten sie übrigens kaum Angst; war sie da, so wurden die Kinder nur deshalb weniger unerträglich für die anderen, weil sie ihre

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