Das Glueck einer einzigen Nacht
drehte. Die harte, berechnende Barbara Logan war also tatsächlich zu selbstloser Liebe fähig. Eine dumpfe Traurigkeit überkam ihn, als er sah, wie sie zärtlich mit den Fingerspitzen über die Wangen des Kindes strich.
Wenn sie sich mehr vertraut hätten, wenn das Schicksal es besser mit ihnen gemeint hätte, könnte Danny jetzt sein Sohn sein.
Nachdem Jim Akins sich wieder zu den beiden gesellt hatte und Marvin die drei beim Essen beobachtete, änderte sich jedoch seine gute Stimmung. Wann immer Barbara und Jim sich anschauten, zuckte er zusammen, und wenn Dannys sommersprossiges Gesichtchen strahlend zu dem Doktor aufblickte, ärgerte er sich. Jim Akins war ein guter Mann, der hohe moralische Grundsätze und einen klugen Kopf besaß. Doch Marvin wußte, daß er und Barbara nicht zusammenpaßten. Sie verkörperten zwei verschiedene Welten. Barbara war Realistin, er ein Idealist. Er würde ihr Leben niemals richtig verstehen, noch würde sie seines teilen können.
Danny hatte sich offenbar sattgesehen und langweilte sich jetzt bei den Erwachsenen. Er bat seine Mutter, zu den Spielbuden gehen zu dürfen. Barbara warf Jim einen ängstlichen Blick zu, und obwohl dieser ihre Besorgnis teilte, zog er einen Dollar aus der Tasche, legte ihn vor den Jungen.
„Gib nicht alles auf einmal aus“, ermahnte er ihn.
„Ich werde zuerst zur Schießbude gehen!“ rief Danny begeistert und verschwand im Gewühl. Weder er noch Jim, noch Barbara bemerkten, daß Marvin dem Jungen unauffällig folgte.
Da die Schießbude die beliebteste Attraktion war, mußte Danny sich vordrängen, um an den Tresen zu kommen. Als ihm das endlich gelungen war, stand er eine Weile unschlüssig da, die Finger ängstlich um die Münze in seiner Hosentasche gekrampft. Doch schließlich siegte seine Begeisterung, und bevor er noch richtig überlegt hatte, legte er seinen Dollar auf den Tresen.
„Schaut mal her, Jungs. Wen haben wir denn hier? Das Jüngelchen aus der Stadt will uns zeigen, was es kann!“ rief der ungehobelte Schießbudenbesitzer spöttisch. „Sag mal, weißt du überhaupt, wie du ein Gewehr halten mußt?“ Die Umstehenden brachen in johlendes Gelächter aus.
„Ja, Sir“, antwortete Danny höflich.
Einer der CrawfordJungen, der nur mit einem Overall und schäbigen Sandalen bekleidet war, schob sich nach vorn. „Wie höflich er ist“, sagte er grinsend.
„Einen so geschniegelten Burschen sollte man etwas freundlicher behandeln. Gib ihm ein Gewehr und Patronen, und dann wollen wir mal sehen, was der Junge aus der Stadt kann.“ Obwohl die Crawfords nicht gerade beliebt waren, hatte Jeremiah, der älteste der CrawfordJungen, diesmal die Menge geschlossen hinter sich. Mochte er auch häßlich, durchtrieben und dumm sein, so war er doch einer der ihren.
Marvin mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht dazwischenzutreten. Der abschätzende Blick, mit dem Danny Jeremiah musterte, verriet ihm, daß der Junge die Herausforderung spürte. Hilflos, aber zugleich voller Stolz, sah er mit an, wie das Drama seinen Lauf nahm.
Der bärtige Alte in der Bude legte ein Gewehr und Patronen vor Danny hin, spuckte ihm seinen Kautabak vor die Füße und sagte: „Du hast zwei Übungsschüsse, bevor du deine drei gültigen Schüsse abgibst.“ Stumm schob Danny ihm seinen Dollar zu, bevor er unbeholfen das Gewehr zu Hand nahm.
„Ich sag dir was, Stadtjunge“, erklärte Jeremiah höhnisch. „Ich wette um einen Dollar mit dir, daß ich den besten von deinen drei Schüssen mit einem einzigen überbieten kann. Aber vielleicht hast du ja Angst, es mit mir aufzunehmen?“ Um nicht doch vorschnell dazwischenzutreten, nahm Marvin hastig einen tiefen Schluck Apfelwein. Erst jetzt sah er, daß Barbara und Jim nicht weit von ihm entfernt standen, sich aber ebenfalls noch zurückhielten. Er beobachtete, wie Barbaras Gesicht blaß wurde, als Danny mit einem hitzigen: „Die Wette gilt!“ die Herausforderung annahm. Um Barbaras Anspannung ein wenig zu mildern, legte Jim ihr beruhigend die Hand auf den Arm. Alle drei wußten, daß Danny keine Ahnung hatte, worum es der haßerfüllten Menge wirklich ging. Hier stand viel mehr auf dem Spiel als nur ein Dollar.
Marvin sah sofort, daß Danny nicht viel Erfahrung mit Luftgewehren besaß. Und er war nicht der einzige, dem das auffiel. Jeremiah, der Danny über die Schulter geschaut hatte, zwinkerte seinem Bruder triumphierend zu. Diesen eingebildeten Stadtjungen würden sie schön hereinlegen!
Wie die
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