Das Glueck einer einzigen Nacht
Abend mußte sie mehr verarbeiten, als sie verkraften konnte: die offene Feindseligkeit der Dorfbewohner, die Niederlage, die Danny um ein Haar erlitten hätte, Marvins unerwartetes Einschreiten und Jims aufrichtige Worte, sein hebevoller Kuß. Es war Jims Verhalten, das ihr im Moment am meisten zu schaffen macht. Warum sonst wäre sie zum Beavers Creek gekommen?
Dieses unwegsame Gebiet war für sie mehr als nur ein Fleckchen Land, das auf keiner Karte verzeichnet war. Es war für sie und Edward Farrett ein geheimer Schlupfwinkel gewesen. Hier hatten sie sich getroffen, um lange Diskussionen zu führen, um ihre Freuden und Sorgen zu teilen, um Zuflucht beieinander zu suchen. Wie viele Jahre lag das jetzt zurück?
Wie jung und unschuldig waren sie und Edward damals gewesen. Sie wußte, die große Ähnlichkeit zwischen Jim Akins und Edward Farrett hatte in ihr das Bedürfnis geweckt, heute abend hierherzukommen. Seit jenem Abend, an dem sie und Edward ihr letztes, ihr ehrlichstes Gespräch geführt hatten, war sie nicht mehr hier gewesen.
Edward war immer so liebevoll zu ihr gewesen. Bei ihm hatte sie das häßliche Gerede der Dorfbewohner vergessen können. Sein charmantes, mitreißendes Lächeln ließ alle Sorgen in den Hintergrund treten. Er war ihr einziger wirklicher Freund gewesen, ihr Vertrauter, ihre Zuflucht. Und das gleiche hatte sie für ihn bedeutet. Ihr erzählte er von seinen Träumen, ihr gestand er seine Ängste ein, bei ihr konnte er ganz er selbst sein, mußte nicht die Rolle spielen, die seine Familie von ihm erwartete. Hier am Beavers Creek hatten sie zusammen gelacht und einander Trost gespendet, miteinander geredet und Probleme gelöst. Und hier hatten sie sich auf Wiedersehen gesagt und nicht geahnt, daß es ein Abschied für immer sein würde.
Barbara fuhr abwesend mit den Fingerspitzen durch das kühle Wasser des Wildbachs, der das einzig Greifbare in diesem Durcheinander von Erinnerungen war, die auf sie einstürmten.
Als sie an das letzte, bittersüße Zusammensein mit Edward zurückdachte, verdunkelte sich ihr Blick. In jener Nacht, als sie sich neben ihn auf den moosbedeckten Stein setzte, mußte sie mit einer Belastung fertig werden, die für ihre jungen Jahre viel zu groß war. Zwei Stunden zuvor hatte der Arzt ihre Schwangerschaft bestätigt. Sie erwartete Marvins Kind. Sie wußte nicht, ob es Zufall oder Absicht gewesen war, daß sie mit Edward nie über Marvin gesprochen hatte. Als sie heute daran zurückdachte, fragte sie sich, ob sie vielleicht doch etwas von Edwards Gefühlen geahnt, es aber nicht wahrhaben wollte.
Nachdem er in jener Nacht einen Blick in ihr angespanntes Gesicht geworfen hatte, hatte Edward die Hand ausgestreckt und sie zu ihrem Lieblingsstein geführt. Eng aneinandergeschmiegt saßen sie schweigend eine ganze Weile da.
Geduldig hatte er auf ihre Erklärung gewartet.
„Ich bin schwanger, Edward“, hatte sie schließlich mit starrem Gesichtsausdruck gesagt.
Tröstend hatte er ihr seinen starken Arm um die zitternden Schultern gelegt.
„Wird der Vater des Kindes dich heiraten?“
„Er weiß nichts davon.“ Ein Zittern war durch ihren schlanken Körper gelaufen, Edward hatte sie noch näher an sich gezogen, um ihre Verzweiflung zu lindern.
„Gibt es außer deinem Stolz noch einen Grund, weswegen du nicht mit ihm darüber sprechen willst?“ hatte er gefragt.
„Ja“, hatte sie hervorgestoßen. „Du kennst doch deinen Bruder, Edward! Er würde mir nur unterstellen, daß ich darauf aus bin, ihn einzufangen.“ In einem Atemzug hatte sie ihr Geheimnis verraten.
Edward war ganz steif geworden, und einen schrecklichen Moment lang hatte sie befürchtet, daß auch er sich von ihr abwenden würde. Doch dann hatte er seine Hand an ihre Wange gelegt, ihr Gesicht zu sich gedreht, so daß sie ihm in die blaugrünen Augen schauen mußte…
Und da hatte sie zum ersten Mal gesehen, was er niemals ausgesprochen hatte.
Er liebte sie. Edward Farrett hatte Barbara Logan ehrlich und aufrichtig geliebt.
„Glaubst du im Ernst, daß Marvin nichts für dich übrig hat, daß er dich nicht verstehen oder seine Verpflichtung nicht erfüllen würde?“ Barbara war seinem prüfenden Blick ausgewichen und hatte in den Bergbach gestarrt. Irgendwie hatte sein endloser Fluß sie an ihrer beider Leben erinnert, ebenso wie das Wasser folgten sie einem vorbestimmten, unabänderlichen Kurs.
„ Eine kurze Zeit war er wohl in mich verliebt. Aber mir liegt weder an seinem
Weitere Kostenlose Bücher