Das Glueck einer einzigen Nacht
genauso darauf, dich zu sehen, wie du dich auf ihn freust.“
Das sommersprossige Gesicht des Jungen verzog sich zu einem strahlenden Lächeln. Dann blickte er wieder gespannt geradeaus, um im nächsten Moment einen ungläubigen Pfiff auszustoßen. „Schau dir das an! Toll!“ meinte er bewundernd.
An Reichtum war Danny zwar gewöhnt, doch Barbara wußte, daß es die Würde des Farrettschen Anwesens war, die ihn beeindruckte. Das Haus aus dem späten neunzehnten Jahrhundert stand auf einer Bergkuppe, von der aus man weit über das grüne Hochland blicken konnte. Sie erinnerte sich noch gut an ihr ehrfurchtsvolles Staunen, als sie das Haus der Farretts zum ersten Mal sah. Jetzt lächelte sie nachsichtig über Danny, der mit offenem Mund das imposante Gebäude anstarrte.
Sie passierten das Eingangstor und fuhren dann den steilen Hügel zum Haus hinauf. Barbara hatte kaum angehalten, da trat Marvin bereits auf die Veranda hinaus.
„Hallo, Marvin!“ rief Danny aufgeregt und riß bei seinem vergeblichen Versuch, aus dem Auto zu klettern, fast die Tür aus den Angeln.
„Wenn du die Tür vorher entsichern würdest, hättest du nicht solche Schwierigkeiten beim Aussteigen“, meinte Barbara seufzend und beugte sich hinüber, um ihm zu helfen.
Kaum war die Tür geöffnet, da schoß Danny wie der Blitz aus dem Auto. Seine Mutter renkte sich fast den Arm aus, um die Tür hinter ihm wieder zuzumachen.
Als sie auf dem Kiesweg ein Paar Schlangeniederstiefel sah, bemerkte sie erst Marvins Nähe. Doch noch ehe sie sich wieder aufrichten konnte, hatte er sich zu der geöffneten Tür hereingelehnt und sie mit einem lässigen Hallo begrüßt.
Während sie hastig versuchte, sich aufrecht hinzusetzen, rutschte ihr ihre Matrosenbluse über die Schulter, für den Bruchteil einer Sekunde wurde ihre nackte Brust enthüllt. Marvin war der reizvolle Anblick natürlich nicht entgangen.
Er verharrte regungslos. Und ganz unvermittelt überflutete ihn eine Woge von Erinnerungen.
„Hallo, Marvin“, sagte Barbara in betont forschem Ton, hinter dem sie aber nur ihre Unsicherheit zu verbergen suchte. Als Marvins belustigtes Lächeln ihr verriet, daß er sie durchschaute, fügte sie hastig hinzu: „Du kannst mich auf der Farm erreichen, wenn ihr mit euren Schießübungen fertig seid. Und wenn Danny sich schlecht benimmt, ruf mich bitte früher an.“ Dann wollte sie zurückfahren.
Doch Marvin hielt sie fest. „Ich habe mir etwas überlegt, Barbara“, erklärte er.
„Anstatt zweimal hier herauszufahren, kannst du doch auf Danny warten. Wenn wir die Schießübungen hinter uns haben, könnten wir zusammen zu Mittag essen und dann ein wenig ausreiten.“
Auf Barbaras sensiblem Gesicht malte sich tiefes Erschrecken. Nach alldem, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte, war eine Einladung von Marvin das letzte, womit sie gerechnet hätte. Und so dankbar sie ihm auch war, daß er Danny auf dem Mittsommernachtsfest vor einer Blamage bewahrt hatte, so hatte sie dennoch seine Drohung nicht vergessen: Du solltest daran denken, daß sich schon morgen alles ändern kann. Diese Besorgnis ließ sie die Einladung ablehnen.
„Vielen Dank, Marvin. Aber ich habe einige Besorgungen zu erledigen.“ Nervös spielten ihre Finger mit dem Zopf, der ihr über die Schulter fiel.
„Aber Mami!“ Dannys Gesichtchen schaute unter Marvins Arm hervor. „Du kannst doch diese blöden Besorgungen ein andermal machen. Marvin und ich wollen, daß du hierbleibst. Nicht wahr, Marvin?“ Bittend schaute er zu Marvin auf, damit dieser seine Einladung noch einmal bekräftigte.
Mit einer ungewohnt fröhlichen Geste umarmte Marvin den Jungen, während er Barbara einen ermutigenden Blick zuwarf. „Es wird ein schöner Nachmittag werden, Barbara. Das verspreche ich dir.“
Die Worte klangen einfach; und doch, ob sie tatsächlich einen wunderbaren Tag lang Waffenstillstand schließen konnten? Ob sie einfach nur die Sonne, die klare Luft und die Freude des Kindes genießen durften, das sie miteinander verband?
Die friedfertige Einladung verdrängte ihre Vorsicht. Barbara zog den Zündschlüssel ab, steckte ihn in ihre Handtasche und stieg aus dem Auto.
„Meine Herren“, sagte sie lachend. „Ich erwarte euch dann auf der Veranda.“ Fröhlich sprang sie die Terrassenstufen hinauf und setzte sich auf die Schaukel, die vor dem Haus hing. Dabei tat sie so, als hätte sie die selbstgefälligen Blicke nicht gesehen, die die beiden hinter ihrem Rücken
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