Das Glueck einer einzigen Nacht
sein Glück sogar. All diese Jahre fühlte ich mich schuldig, weil ich es damals nicht wagte, zu meiner Liebe zu stehen und, was noch schlimmer ist, weil ich die Geliebte meines Bruders begehrte. Aber du…“ Er drehte sich zu ihr um. Sein Blick war eisig, seine Worte kalt. „Du hast dich des Verrats schuldig gemacht. Indem du dich von Edward hattest trösten lassen, hast du uns alle drei verraten. Und dann bist du wie ein^eigling davongerannt. Und Danny…“ Er verstummte und blickte ins Tal hinunter, wo Grandma Logans Haus stand. „Was haben wir an ihn weitergegeben? Wie soll es jemals weitergehen?“
Wie gern hätte Barbara ihn getröstet, ihm die Wahrheit gesagt. Doch kein Wort kam über ihre Lippen. Er war so stolz, so verletzt, und er täuschte sich so sehr.
Aber irgendwie ahnte sie, daß Marvin die Wahrheit jetzt nicht ertragen könnte.
Die Ironie des Schicksals würde ihn zerstören – all die verlorenen Jahre, der sinnlose Schmerz. Nein, sie mußte noch warten.
Langsam stand sie auf und zog sich an. Einen Moment betrachtete sie traurig den Mann am Fenster, den sie so sehr liebte, aber der sie schon einmal im Stich gelassen hatte. Tränen liefen über ihre Wangen, und stumm trat sie neben ihn, legte ihm den Arm um die Taille.
Verzweifelt preßte er sie an sich. „Ich würde alles darum geben, wenn wir die Vergangenheit vergessen könnten“, sagte er bitter.
Barbara blieb stark und tapfer in diesem schrecklichen Augenblick. Sie schluchzte nicht, flehte nicht, bekannte nichts. Sie gab ihm nur einen Abschiedskuß und ein geflüstertes Versprechen. „Vielleicht werden wir eines Tages unseren Stolz noch bitter bereuen. Ich liebe dich, Marvin. Ich werde dich immer lieben.“ 9. KAPITEL
Die Zeit verging, nicht aber Barbaras Schmerz. Wie immer drehten sich ihre Gedanken nur um Marvin, während sie in Grandmas Schaukelstuhl auf der Veranda saß und traurig auf die fallenden Blätter hinausschaute. Lange hatte sie fest geglaubt, Marvin und sie könnten wieder zueinander finden, doch vergeblich.
Offenbar wollte es das Schicksal, daß Danny das einzige war, was sie miteinander teilten.
Ihr gemeinsames Kind war alles, was von ihrer Liebe übriggeblieben war, und die Erinnerungen an das vergangene Glück. Resigniert schloß Barbara die Augen. Sie merkte nicht einmal, daß Grandma auf die Terrasse gekommen war.
„Hängst du wieder deinen Gedanken nach?“ fragte die alte Frau mit leiser Besorgnis, während sie ans Terrassengeländer trat und über die Felder blickte.
„Ich habe nur ein wenig geschlafen“, meinte Barbara ausweichend, „Weißt du, mein Kind, es ist nicht gut, daß man sich über eine Sache zu sehr den Kopf zerbricht. Man muß den Dingen seinen natürlichen Lauf lassen. Glaubst du etwa, ich weiß nicht, wie es um dich steht? Ich habe schon viel Kummer erlebt. Ich sehe dir an, wie du leidest.“
„Ach, Grandma“, seufzte Barbara und stand auf, um neben ihre Großmutter ans Geländer zu treten. „Ich werde schon damit fertig. Ich brauche nur ein wenig Zeit.“ Zuversichtlich drückte sie der alten Frau die Hand. „Aber leider fällt es mir nach jeder Enttäuschung schwerer, so zu tun, als sei mir alles egal.“ Als Barbaras Kinn plötzlich verräterisch anfing zu zittern, nahm Grandma sie tröstend in die Arme. Aber diese liebevolle Geste brachte Barbara vollends um die Fassung. Sie legte den Kopf an Grandmas Brust und weinte sich all ihren Kummer von der Seele.
Sachte, als sei sie wieder das kleine trostbedürftige Mädchen, wiegte Grandma sie hin und her. „Zu viele Menschen machen den Fehler, immer nur in die Vergangenheit zu blicken, Barbara. Aber sie sehen nichts als die Meilen, die sie schon zurückgelegt haben. Und das schlimme ist, daß man dabei den Weg verlieren, stolpern und fallen kann. Ein Mann muß sein Herz kennen, bevor er es verschenkt. Hab Geduld, denn nichts fällt einem in den Schoß.“ Barbara schniefte und nickte dann nicht ganz überzeugt. Grandmas Worte waren zwar einfach und weise, Barbaras Bedürfnisse jedoch kompliziert und vielfältig.
Grandma spürte, wie ihre Enkelin mit sich kämpfte. Sanft schob sie Barbara ein Stückchen von sich weg und erklärte dann seufzend: „Ich werde dir eine Geschichte erzählen, die du noch nie von mir gehört hast. Setz dich, Kind.“ Wortlos ließ sich Barbara auf den Verandastufen nieder, während Grandma sich schwerfällig in ihren Schaukelstuhl setzte. Nachdem sie eine Weile hin und her geschaukelt war, fing sie an
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