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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
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erwiderte ich.
    Der Trainingsleiter ließ mich zur Sicherheit untersuchen – alles war gut ausgegangen.
    Manchmal spielten wir auch Tischtennis oder Rollstuhlbasketball, das ist ein typischer Rollstuhlsport – Bayreuth hat sogar eine recht erfolgreiche Rollstuhlbasketballmannschaft. Mir blieb es schleierhaft, wie ich den Ball vom Boden heben sollte, wenn ich mich mit einem Arm am Rollstuhl festhalten musste, um mich wieder hochzuziehen. Ich fand diesen Sport zu brutal. Manche knallten mit ihren Rollstühlen aneinander wie beim Autoscooter. Das war mir zu gefährlich. Ich wollte nicht noch mal am Boden liegen.

Heimaturlaub
    Andi besuchte mich jeden Tag. Bei manchen Aktivitäten war er sogar dabei – als Bäcker hatte er früh Feierabend. Am liebsten kuschelten wir unter meiner Bettdecke. Das war nicht gern gesehen auf der Station, tat mir aber sehr, sehr gut. Wir flüsterten uns ins Ohr, was wir tagsüber erlebt hatten, ich weinte vielleicht ein bisschen – häufig wegen Marcky, der mir leidtat, denn der kleine Kerl war viel allein. Oft hielten wir uns auch einfach nur fest. Irgendwann bekamen Männer von der Stationsleitung Bettverbot, und wir mussten uns was anderes einfallen lassen, um Nähe zu tanken.
    Rückblickend glaube ich, dass ich mich in der Zeit im Krankenhaus aus Unsicherheit sehr an Andi geklammert habe. Allerdings hätte ich mich niemals so behandeln lassen, wie es der rücksichtslose Ehemann einer Mitpatientin tat, die nach einem Reitunfall im Rollstuhl saß. Ihr Mann verkündete lauthals, dass er keine Lust auf Sex mit einer »warmen Gummipuppe« habe. Das Schlimmste daran war, fanden Jasmin und ich, dass die Frau – sie lag zwei Wochen mit uns im Zimmer – nur schrecklich weinte, anstatt diesen Widerling rauszuwerfen. Das hätten wir nämlich gemacht.
    Ich machte mir keine Sorgen, dass Andi mich verlassen würde. Ganz im Gegenteil. Er hielt ohne Wenn und Aber zu mir. Das war damals relativ leicht für ihn im Vergleich zu dem, was noch auf ihn zukommen sollte. Im Krankenhaus war ich in guten Händen, und Andi hatte wenig mit meinem Alltag zu tun. Dennoch musste er auch in dieser Zeit viel aushalten, denn ich war oft schlecht gelaunt und motzte ihn an, weil ich unzufrieden mit meinen Fortschritten war. So gut die medizinische Versorgung in Bayreuth sein mochte: der seelische Beistand fehlte komplett. Ich wurde kein einziges Mal gefragt, ob ich psychologische Hilfe benötigte. Die hätte mir und auch Andi sicher gutgetan. Wir wollten nicht nur wissen, wie man einen Rollstuhl in den vierten Stock trägt, wir hätten auch gern gewusst, wie wir als Paar mit meiner Lähmung umgehen sollten. Das erklärte uns niemand.
    Dafür erfuhr ich alles über meine Rechte in sozialen Fragen, welche Hilfsmittel mir zustanden, welche Träger die Kosten dafür übernehmen würden, dass der behindertengerechte Umbau meines Autos vom Arbeitsamt finanziert würde, wenn ich berufstätig sei, und so weiter. Aber was mache ich mit meiner Traurigkeit? Und wie schaffen wir das als Paar? Wie kriegen wir den Alltag geregelt? Worauf sollen wir achten? Müssen wir uns von unserem Kinderwunsch verabschieden? Ist es normal, dass die Freundin manchmal motzig ist? Niemand sprach uns Mut zu. Im Nachhinein finde ich das sehr schade.

    »Spürst du das?«, flüsterte Andi in mein Ohr und streichelte meine Beine.
    »Ein bisschen.«
    »Spürst du das? Und das?«
    Jeden Tag erkundeten wir meine Sensibilität. Es war wie ein Experiment. Als solches erlebte ich auch den ersten Sex. Ich hatte praktisch zweimal ein erstes Mal. Vorher und nachher.
    Alle zwei Wochen durfte ich übers Wochenende nach Hause, weil Jasmin das durfte. Ich hatte so lange gebettelt, bis mir das auch zugestanden wurde. Dummerweise war nun immer eine von uns weg. Ohne Jasmin und ihren lustigen Freundeskreis fand ich es stinklangweilig in der Klinik. Trotzdem hätte ich meine Wochenenden mit Andi nicht dafür hergegeben.
    Der erste »Freigang« war wahnsinnig aufregend. Andi holte mich mit Marcky ab. Bevor er mich die vier Stockwerke in unsere Wohnung hoch trug, machten wir einen langen Spaziergang mit Marcky, der sich überhaupt nicht mehr einkriegte vor Freude, mich zu sehen, und mir ständig auf den Schoß sprang.
    »Wie im Tierheim«, sagte ich zu Andi. »Da hat er seinen zukünftigen Platz schon gekannt.«
    »Das ist ein Hund, kein Hellseher«, widersprach Andi.

Marcky auf seinem Lieblingsplatz.
    Ich war so leicht, dass es für Andi kein Problem war, mich

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