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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
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auch so lange einen Ball zugeworfen bekommen, bis ich ihn ohne umzukippen auffangen konnte. Durch meine Lähmungshöhe unterhalb der Brust war diese Übung eine Herausforderung für mich.
    »Lass uns eine Pause machen, Ines«, schlug Susanne vor.
    »Weiter!«, befahl ich. »Bitte!«
    Die gutmütige Susanne warf mir noch ein paar Mal sanft den Ball zu. Zum Abschluss des Trainings durfte ich dann das Durchbewegen meiner Beine genießen.
    In der krankengymnastischen Therapie bekam ich manchmal Beinschienen verpasst. Die wurden mir meistens noch im Bett umgeschnallt. An der Kniekehle gab es einen Hebel, mit dem ich die Schienen beugen konnte, um mich in den Rollstuhl zu setzen. Im Therapieraum fuhr ich dann mit dem Rollstuhl an das Ende von zwei Stangen, einer Art Barren. Ich fixierte die Gelenke der Schienen, stützte mich ab und ging die Stangen entlang. Ohne Schienen wäre ich zusammengebrochen. Für die inneren Organe ist es wichtig, hin und wieder komplett in der Senkrechten auszuhängen. Ziel dieser Übung ist es zudem, nur mit Hilfe der Schienen und Krücken zu gehen, doch dazu fühlte ich mich nie imstande – denn wenn ich fiele, wie käme ich wieder hoch? Es gibt diverse Apparaturen, um die Organe senkrecht zu lagern. In meinem Alltag fallen solche Aktivitäten meistens in die Abteilung »guter Vorsatz« – und da bleiben sie dann auch.
    Sehr gern habe ich im Krankenhaus an Computerkursen teilgenommen und im Anschluss so manches Mahjong gespielt. Das Krafttraining hingegen hasste ich. Allerdings gab es hier eine besondere Herausforderung, denn hinter dem Krankenhaus befand sich ein kleiner Berg, und es hieß: »Wenn du es schaffst, diesen Berg aus eigener Kraft mit dem Rollstuhl nach oben zu fahren, wirst du entlassen.«
    Manchmal stand ich vor dem für einen Fußgänger kaum erwähnenswerten Hügel und konnte mir nicht vorstellen, wie ich die steile Strecke jemals bewältigen sollte. Ich würde niemals entlassen werden. Ich würde den Rest meines Lebens im Krankenhaus verbringen.

    Die Therapeuten in Bayreuth waren mit Fantasie gesegnet und ließen sich immer neue Spielchen einfallen, uns zu motivieren – auch wenn wir uns manchmal eher traktiert fühlten. Im Rollstuhltraining sollte ich vorwärts von einem Holzpodest hinunterfahren.
    »Fahren, nicht fallen!«, sagte der Trainer und schob mich zurück in den Stuhl. Ich war schon gefährlich nah an der Kante gehangen. Das Erste, was ich im Rollstuhltraining lernte, war das Kippen. Es ist genauso wichtig wie das Übersetzen. Kippen bedeutet, sich auf die Hinterräder zu stellen – und das will gelernt sein. Ich habe eine Weile dazu gebraucht, in meiner Gruppe gab es zwei Naturtalente, die mich je nach Tagesform anspornten oder zur Verzweiflung brachten.
    Wir probten das Kippen in der Turnhalle und wurden dort mit Seilen, die von der Decke hingen, gesichert. Und dann hieß es: probieren, probieren, probieren. Learning by doing. Irgendwann klappte es auch bei mir. Kippen fand ich richtig cool. Bewundernd schaute ich manchen der alten Hasen dabei zu, wie sie lässig irgendwo standen und dann mal eben ganz locker kippten. Das wollte ich auch können! Als ich es beherrschte, machte es mir einen Riesenspaß, meine Familie und Freunde mit einem plötzlichen Kippen zu erschrecken. »Ines! Um Himmels willen! Du fällst raus!«
    »Jetzt hat sie uns schon wieder gefoppt!«, schimpfte meine Oma, und mein Opa blinzelte mir anerkennend zu.
    Im Rollstuhltraining lernte ich auch, Bordsteinkanten zu meistern. Man fährt zügig an, kippt im richtigen Moment die Vorderräder …
    »Im richtigen Moment, Ines, nicht davor und nicht danach!«
    »Aber wann ist der richtige Moment?«
    »Das lernst du schon noch.«
    … und fährt dann die Kante hinauf; die Hinterräder kommen automatisch nach. Die Kante beim Training auf der Straße war deutlich höher als die in der Turnhalle. Niedrige Kanten sind normalerweise kein Problem. Höhere Bordsteinkanten müssen auch gekippt hinuntergefahren werden. Dazu kippt man an, fährt gekippt mit den großen Rädern an die Kante und rollt dann runter. Erst, wenn man unten steht, kippt man die kleinen Räder wieder nach unten. Soweit die Theorie. In der Praxis kippte ich an, fuhr vor, und irgendwie – entweder konnte ich mich nicht halten oder bekam Angst – ruckte der Rollstuhl vorne runter, und ich lag am Boden. Ein Schrei – der Trainingsleiter kniete blass neben mir. »Ines! Ines! Hast du dir weh getan?«
    »Heute keine Leerung«,

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