DAS GLÜCK IM AUGENWINKEL 2: Edition Nancy Salchow (German Edition)
bin froh, dass ich die Belegschaft des Cafés vorgewarnt habe. Sie haben ihm gesagt, dass ich früher öfter da war, aber nun nicht mehr dort anzutreffen bin."
"Du denkst wirklich an alles."
"Wenn er noch mal nach mir fragen sollte, werde ich ihn anrufen und ein für alle Mal zur Rede stellen. Nicht zu fassen, dass du mir ein Date mit einem Stalker verpasst hast."
"Einem Stalker?" Eine Falte schob sich zwischen Claudias Augenbrauen. "Nun bleib aber mal sachlich, Liebes. Er ist immer noch mein Cousin."
Nita puffte ihr liebevoll in die Hüfte. "Nicht böse sein. An meiner Freundschaft zu dir kann selbst Detlef nichts ändern."
Die Augenbrauenfalte verflüchtigte sich, und Claudia begann zu lachen. "Ach, Süße. Wenn es doch nur ein bisschen einfacher mit dir wäre. Wenigstens ein ganz kleines bisschen."
*
Wütend warf er seine Jacke aufs Sofa und ließ sich fallen. Worin lag der Sinn der Bindung zwischen ihm und dem Buch sowie dem Buch und Nita, wenn man es ihm dann so schwer machte, sie zu finden? Wie war es möglich, dass ihr Lieblingscafé nicht weit entfernt lag, sie aber in keinem der naheliegenden Buchläden arbeitete? Und warum hatte sie erst neulich so begeistert von dem Café geschrieben, wenn man ihm jetzt erklärte, dass sie dort nicht mehr anzutreffen war? Fast kam es ihm so vor, als ob irgendjemand von seiner Suche wusste und nun mit allen Mitteln zu verhindern versuchte, dass sie erfolgreich war.
Enttäuscht über seine vergeblichen Versuche, Nita zu finden, kam er auf eine Frage zurück, die er in seiner Verbissenheit fast vergessen hatte: Warum bestand diese Bindung zwischen ihnen? Warum erreichten ihre Worte ausgerechnet ihn? Auch wenn er aufgehört hatte, das Unfassbare der Sache selbst in Frage zu stellen, so ließ ihn doch der Gedanke an den Grund dieser Verbindung nicht los. Warum er? Warum sie? War es das Schicksal, das die beiden miteinander verband? Und wer wusste, dass er diese Bindung genau jetzt besonders nötig hatte?
Er griff nach seiner Jacke und zog das Buch aus der Innentasche.
Hast du je die Leute beobachtet, die sich tagsüber im Park herumtreiben? Ich weiß, früher waren wir oft zusammen dort und haben das bunte Treiben verfolgt, aber gestern, an meinem freien Tag, habe ich zum ersten Mal eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Es gibt Tageszeitmenschen. Ja, tatsächlich. Menschen, deren Persönlichkeit davon abhängt, zu welcher Tageszeit sie unterwegs sind. Und ich habe festgestellt: Mir sind die Mittagsmenschen am liebsten.
Die Leute, die morgens unterwegs sind, erscheinen mir schon auf dem Weg ins Büro gestresst. Vielleicht stehen sie auch unter solch einem extremen Termindruck, dass ich zwischenzeitlich den Eindruck habe, einen Raketenschweif hinter ihren hastigen Bewegungen zu erkennen. Ausdruckslose Augenpaare mit ernst zusammengeschobenen Augenbrauen, die an mir vorüberfliegen. Die Abendmenschen sind den Morgenmenschen im Grunde sehr ähnlich, nur mit dem Unterschied, dass abends die Schultern etwas tiefer hängen, die Schritte etwas langsamer sind und die Augenpaare zwar noch immer ernst wirken, allerdings eher wegen der Dinge, die hinter ihnen liegen, als aufgrund der bevorstehenden.
Die Mittagsmenschen jedoch unterscheiden sich in beinahe allem von den übrigen Tageszeitmenschen. Sie scheinen völlig frei zu sein: keine Sorgenfalten auf der Stirn, kein hastiger Blick auf die Uhr und kein Handy an den Ohren. Man sieht sie mit kleinen Papiertütchen durch den Park schlendern, während sie hin und wieder in ein Fladenbrot beißen oder mit einer Wasserflasche in der Hand auf einer Bank Platz nehmen und verklärt in die Ferne schauen. Dabei erwecken sie stets den Eindruck, keinem Zeitgesetz zu unterliegen, nirgends gewesen zu sein und auch nirgends hinzumüssen. Sie sind einfach da. In diesem einen Moment. Eben weil sie Mittagsmenschen sind.
Kapitel 9
Sie legte den Stapel Karten zurück in das mit Samt überzogene Kästchen und griff nach dem Zeitungsausschnitt, der unter einem Gummiband im Deckel befestigt war. Vorsichtig strich sie das Papier glatt und las, zum ersten Mal seit dem Erscheinen der Annonce, die Worte auf dem Ausschnitt.
In Erinnerung an
Patrick Löhr
17. März 1976 - 13. September 2010
Die Zeit bleibt nicht stehen, aber sie schaut zurück, wenn sie jemand Wertvollen verloren hat.
Sie war sich nicht sicher, welcher Drang sie geleitet hatte, nach all den Monaten das Kästchen hervorzuholen. Dennoch war sie stolz auf sich, stark genug zu
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