DAS GLÜCK IM AUGENWINKEL 2: Edition Nancy Salchow (German Edition)
war.
Doch es wurde Mittag, es wurde Nachmittag, und mit dem Verstreichen der Stunden verließ ihn allmählich die Zuversicht, Nita zu finden. Zweimal hatte er kurzzeitig die Hoffnung gehegt, die eigene Illusion ihrer Persönlichkeit in einer der Passantinnen zu entdecken, doch im letzten Moment unterließ er es, sie anzusprechen. Einmal zog die Fremde wichtigtuerisch einen Organizer aus der Manteltasche, was seiner Vorstellung von Nita nicht im Mindesten entsprach, das andere Mal wurde deutlich, dass der Mann neben ihr kein zufällig vorbeieilender Passant war, sondern ihr Begleiter, der ihre Hand mit seiner umschloss.
Simons ursprünglicher Entschluss, mit diesem Tag eine ganze Reihe von Beobachtungstagen einzuleiten, geriet ins Wanken. Vielleicht hatte Marie recht. Vielleicht war sein Plan aussichtslos. Vielleicht war er besessen. Und auch wenn er sich sicher gewesen war, dass seine Vorstellung von Nita stimmte und ihm ermöglichen würde, sie zu erkennen, wenn sie vor ihm stand, so war ihm klar, dass er sich lediglich auf Gefühle verlassen hatte. Gefühle, die ihn ahnen ließen, aber weit davon entfernt waren, Tatsachen zu sein. Er fühlte nur. Aber im Grunde wusste er nichts.
Dennoch ließ ihn der Gedanke nicht los, dass sie in der Nähe wohnte, arbeitete, ein Leben führte, so wie er es tat. War es wirklich so schwierig, eine Frau zu finden, die einen Ort ihr Zuhause nannte, der auch seine Heimat war?
Das Rascheln einer Zeitung, die ein Mann in den Müllbehälter neben der Bank warf, weckte Simons Aufmerksamkeit. Instinktiv griff er nach dem zerknüllten Papier und strich es glatt, während namenlose Gedanken durch seinen Kopf schossen.
Natürlich. Warum war er nicht schon viel eher darauf gekommen?
*
Er markierte die geschriebenen Zeilen und löschte sie. Zum mittlerweile dreizehnten Mal. Welche Worte auch immer er für den Moment als richtig empfand, schon nach wenigen Sekunden wurden sie zu ausdruckslosen Buchstaben, waren entweder zu direkt, zu einschüchternd oder einfach nur nichtssagend.
Wie sollte er die richtigen Worte finden, um eine Frau zu erreichen, die er im Grunde gar nicht kannte? Wie sollte er ihre Neugier wecken, ohne sie zu verschrecken?
Vielleicht war es besser, sich möglichst kurz zu fassen. Wenige Worte boten auch weniger Potenzial für Missverständnisse. Er begann, seine Gedanken erneut zu formulieren.
Nita, bitte melde dich. Du kennst mich nicht, aber ich muss dringend mit dir über Patrick reden.
Simon
Besser. Viel besser. Er war sich sicher, dass die Annonce in Kombination mit seiner Telefonnummer gerade genug aussagte, um Nita anzusprechen, und trotzdem genug verschwieg, um ihren Anruf unausweichlich zu machen. Wie sonst sollte sie erfahren, was es mit seinem Wissen über Patrick auf sich hatte?
Fast schämte er sich ein wenig, auf diese Weise ihre ungebrochenen Gefühle für Patrick auszunutzen, nur um zu erreichen, dass sie sich meldete. Doch die Tatsache, dass es ja tatsächlich ihre Briefe an Patrick waren, die er in seinem Buch lesen konnte, fegten seine letzten Skrupel beiseite. Es war der einzige Weg und die einzige Ebene, auf der er Nita erreichen konnte.
Er druckte das Blatt mit dem Text und seiner Telefonnummer aus, faltete es und steckte es in die Brusttasche seines Hemdes. Diese Angelegenheit würde er nicht per Mail klären, sondern persönlich. Schon jetzt freute er sich darauf, im Servicecenter der Lokalzeitschrift das auffälligste Design für seine Annonce auszusuchen. Er durfte es nicht riskieren, dass sie es übersah. Und wenn sie es schon nicht selbst las, würde es ganz sicher jemandem aus ihrem Familien- oder Bekanntenkreis auffallen.
*
Das Leben fängt an, eine seltsame Eigendynamik zu entwickeln. Der Schmerz um dich wird mehr und mehr zum Teil von mir, ich wehre mich nicht mehr dagegen. Ist es nicht erstaunlich, welche Wege das Herz geht, um sich selbst zu schützen? Um Verlust und Tragik auszuhalten?
Ich nehme plötzlich viel mehr Dinge wahr als noch vor wenigen Wochen. Es kommt mir so vor, als würde sich mein Blick erweitern. Mein Blick auf die Welt, die Menschen oder die Dinge am Wegesrand. Ich glaube fast, dass ich stärker werde. Dass ich in der Lage bin, dich bei mir zu tragen und doch die Augen für den Rest der Welt zu öffnen. So wie früher. Als ich wusste, dass du an meiner Seite bist, wohin ich auch gehe.
Ich habe übrigens zum ersten Mal seit ... zum ersten Mal seit langer Zeit Claudia ins Kino eingeladen. Sie hat ja
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