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Das Glück mit dir (German Edition)

Das Glück mit dir (German Edition)

Titel: Das Glück mit dir (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Tuck
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wechseln musste, lernte sie keine dieser Sprachen wirklich gut. Außerdem war es schwierig für sie, Freunde zu finden; sie las viel, hing Tagträumen nach.
    Wieso denkt sie gerade jetzt daran?
    Wegen der Rücklichter des in der Ferne verschwindenden Autos?
    Früher, mit acht Jahren, als sie in Uruguay lebte und lange bevor sie das Wort Solipsismus gehört hatte, entwickelte sie ganz für sich allein die Vorstellung, wie es wäre, als einziges Wesen auf der Welt zu existieren. Ein Krieg, ein schreckliches Verbrechen oder auch nur ein heruntergefallener und zerbrochener Teller, eine Tür, die im Haus nebenan zufiel, all das geschah nur für sie allein. Alles andere war Leere, ein großes Loch, nichts.
    Sie hat nicht viele Erinnerungen an Uruguay: DerBalkon vor dem Esszimmer ging zur Straße hinaus, und einmal schüttete sie ein Glas Wasser auf einen Jungen, der unten vorbeiging – wütend schaute er zu ihr hinauf und rief puta, puta ; ihre Schuluniform, darauf mit dickem rotem Faden aufgestickt ihr Name – niña, niña , wurde sie geneckt; das Kindermädchen, das sie von der Schule abholte und ihr beibrachte, wie man das R rollt.
    RRRR – sie biegt die Zunge zurück und rollt laute Rs.
    Sie kann es noch, und das freut sie ein wenig.
    CaRRRavaggio – sie versucht es noch einmal.
    Mit leichter Ungeduld erklärt Philip, das Gemälde sei ihm zu kitschig. Er ziehe ihm entschieden die Bekehrung des Paulus und die Kreuzigung des Petrus vor, zwei Gemälde von Caravaggio in der Santa Maria del Popolo.
    Ich kann es nicht erklären, sagt Nina beim Verlassen der Galerie, aber der Engel hat aus irgendeinem Grund etwas ungeheuer Sinnliches. Fast schon etwas Erotisches, sagt sie. Er ist so kräftig – wie er da steht, fast nackt, auf einem Bein, die Hüfte ausgedreht. Aber seine schwarzen Flügel wirken zu klein, zu zart, so, als würden sie nicht richtig zu ihm gehören … Nina spricht nicht zu Ende.
    Auf dem Weg zum Restaurant – vielleicht aber auch schon im Palazzo Doria Pamphili – wird Philip die Brieftasche gestohlen. Erst als sie gegessen haben und es ans Bezahlen geht, bemerkt er den Verlust. Den größten Teil des Nachmittags verbringt er dann auf derPolizeiwache; er muss seine Kreditkarten sperren lassen – schon hat jemand für tausende Dollar auf seinen Namen eingekauft – und er versäumt mehrere wichtige Vorträge.
    Ich hätte besser aufpassen sollen, sagt er zu Nina und klopft auf die Tasche seines Sakkos.
    Diane, die andere Frau, die mit Nina in der Kunstgalerie arbeitet, geht mit ihr. Ihr Freund, ein Medizinstudent, hat Diane eine Telefonnummer gegeben. Als Nina sie wählt, meldet sich ein Mann. Er will wissen, in der wievielten Woche sie schwanger ist, gibt ihr eine Adresse und sagt, sie solle am übernächsten Tag um zwei Uhr nachmittags vorbeikommen, das ist ein Mittwoch   – mercredi . Außerdem sagt er ihr, sie solle Desinfektionsmittel und Watte mitbringen – an der Ecke der Straße ist eine Apotheke – und dazu zweitausend neue Franc in bar. Seinen Namen nennt er nicht.
    Er hätte sie umbringen können.
    Außer dass ab und zu Nebel aufzieht, haben sie zum Glück selten schlechtes Wetter. Nur ein einziges Mal geraten sie in einen Sturm – den Ausläufer eines Hurrikans vor Florida –, mit Brechern, die über das Deck fegen, Wind, der an den Segeln zerrt und das Boot so stark krängen lässt, dass es Wasser nimmt.
    Arme Hypatia , sagt Philip. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre ein zweites Mal bei lebendigem Leib gehäutet worden.
    Sie erschauert im Dunkeln und trinkt noch etwas Wein.
    Der Baum bricht Philips Nase und schlägt ihm einen Schneidezahn aus; unter Deck wird Nina gegen die Kante des Ofens geschleudert und bricht sich eine Rippe.
    Das Krankenhaus in der Küstenstadt in Maine ist klein, das Personal tüchtig und freundlich. Für die gebrochene Rippe kann man nichts tun, man rät ihr bloß, nicht zu husten und nicht zu lachen. Sie bekommt Schmerztabletten. Philips Nase wird mit einem ins Nasenloch eingeführten Metallstab gerichtet; sie hört ihn vor Schmerz aufschreien. Er liegt neben ihr in der Notaufnahme. Den Zahn wird zu Hause der Zahnarzt mit einer teuren Krone reparieren.
    Nina beugt sich über das Bett und berührt Philips Gesicht; mit dem Finger zeichnet sie die Linie seiner Nase nach. Dass sie einmal gebrochen war, kann man nicht mehr sehen.
    Wieder und wieder versucht sie, Philip in Öl zu porträtieren; jedes Mal legt sie das Bild unzufrieden weg. Ihre rasch

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