Das Glück mit dir (German Edition)
hingeworfenen Kohleskizzen sind besser. Das Problem ist Philips Mund – sie bekommt ihn nie richtig hin –, seine Lippen kräuseln sich auf unnatürliche Weise. Beim letzten Mal will sie ihn als Akt malen.
Zieh dein Hemd aus, deine Hose, deine Schuhe und Socken, fordert sie ihn auf.
Deine Boxershorts auch, fügt sie hinzu.
Philip stemmt die Arme in die Hüften und weigert sich.
Stell dich nicht so an, sagt Nina.
Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich hier nackt herumstehen soll, beklagt er sich. Außerdem ist es kalt.
Es ist doch bloß ein Aktbild, erwidert Nina. Und sieh in mir einfach die professionelle Malerin und nicht deine Ehefrau.
Wie soll ich in dir nicht meine Frau sehen?, fragt Philip.
Keine Ahnung. Wo bleibt deine Fantasie?
Er weigert sich dennoch, seine Boxershorts auszuziehen.
Neulich hat Nina bei einer Ausstellung ein Gemälde gesehen, das Lucian Freud von seiner toten Mutter gemalt hat. Ein schönes und heiteres Porträt einer verrunzelten alten Frau mit geschlossenen Augen, die Hände über der Brust gekreuzt, auf einem schmalen eisernen Bett liegend.
Sie kann sich nicht vorstellen, Philip jetzt zu malen.
Philip steht ihr in blauen Boxershorts Modell, aber sie malt sie leuchtend rot – karminrot –, das hat für sie noch den stärksten Anklang von Nacktheit.
Schon wieder Lorna.
Sie begegnet den beiden unerwartet in einem beliebten Bio-Restaurant. Sie sitzen sich gegenüber und essen – ohne sich zu berühren. Am meisten stört sie, wie angeregt sie aussehen. Als sie Nina erblicken, unterbrechen sie schlagartig ihr Gespräch.
Philip winkt sie an den Tisch.
Was isst du denn da? Nina fällt nichts ein, was sie sonst sagen könnte.
Kichererbseneintopf – willst du mal probieren? Philip hält ihr den Löffel hin.
Nein danke. Nina verzieht das Gesicht.
Philip hat einen hohen Grundumsatz; er nimmt einfach nicht zu. Er isst alles, worauf er Lust hat, und er isst viel.
Ihr fällt ein, dass unten nun das Hühnchen kalt wird – die Soße und das Fett gelieren auf dem Servierteller. Sie zieht das weiße Brustfleisch vor, Philip mag lieber die Schenkel.
Wie gut sie sich ergänzen.
Louise, denkt sie.
Louise liegt in tiefem Schlaf, zufrieden nach dem Sex, in den Armen eines gutaussehenden jungen Mannes. Am nächsten Morgen wird alles anders sein. Den gutaussehenden jungen Mann wird sie vergessen haben, wenn sie ihren Koffer packt, zum Flughafen fährt und nach Hause fliegt.
Louise, Philips Liebling. So stark und so vernünftig.
Mit zwei Jahren erkrankte sie an einer spinalen Meningitis. Nina erkannte die Symptome nicht gleich – Fieber und Erbrechen. Damals dachte sie, Louise hätte Brechdurchfall oder etwas Falsches gegessen.
Dann bekam Louise einen Krampfanfall. Dann fiel sie ins Koma.
Nina betete, was sie sonst nie tat. In der Kapelle des Krankenhauses, auf den Knien, sie betete und betete. Sie zündete Kerzen für Louise an. Sie machte Gott alle möglichen Versprechungen, die sie gar nicht halten konnte.
Gott im Himmel, sagt Nina zu sich selbst.
Gott im Himmel, wiederholt sie, ohne dass sie hätte sagen können, was sie eigentlich damit meint.
Grüne Wiesen mit glücklichen weißen Schafen, so stellt sie sich das vor. In bonbonfarbenen Kleidern warten dort Iris und Lorna auf Philip.
Wie in einem schlechten Roman.
Aber einfach so tun als ob – in die Kirche gehen, auf die Knie sinken, beten –, ist laut Philip genau das, was Pascal Leuten wie ihr empfiehlt, die an der Existenz Gottes zweifeln.
Sie versucht sich an den Psalmentext zu erinnern: Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue – sie schließt die Augen, überlegt, aber sie hat vergessen, wie es weitergeht.
Ein anderer Song beginnt ihr nun im Kopf herumzugehen:
Won’t you lay your head upon your savior’s breast
I love you but Jesus loves you the best
And we bid you good night, good night, good night …
Waren sie nicht einmal auf einem Konzert der Grateful Dead gewesen?
Ein warmer und feuchter Sommerabend, die Luft schwer von Haschdünsten. Das Hearst Greek, ein Amphitheater, ist bis zum letzten Platz besetzt, die Menschen schwenken kreischend die Arme. Nina kannkaum die Musik hören, geschweige denn dem Text folgen – den sie allerdings fast auswendig kennt. Sie schaut wie gebannt auf einen der Musiker, den Pianisten. Sein Haar ist lang und in der Mitte gescheitelt; er wirkt bekifft.
Sie stellt sich vor, wie sie mit ihm ins Bett geht.
And we bid you good
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